Der Außenseiter
(er hinterließ Hinweise auf seine Person); plötzliche unbezähmbare Wut (er begann, das Mobiliar zu zerstören); Grausamkeit (er folterte das Opfer); mangelnde Voraussicht (er tötete Grace ohne Rücksicht auf die Folgen); Unerfahrenheit (er rechnete nicht damit, über und über voller Blut zu sein); keine Angst, auf frischer Tat ertappt zu werden (er nahm hinterher noch ein Bad).
Der Mörder war ein unreifer Mensch mit einem kranken Gehirn und emotionalen Problemen.
Möglich, dass er sich in einem durch Drogen, Alkohol oder Klebstoff hervorgerufenen Rausch-zustand befand. Er glaubte, er werde mit Grace ein leichtes Spiel haben, und war überzeugt, dass er ungeschoren davonkommen würde. Er war es gewohnt, andere zu bedrohen – »mach mir Schwierigkeiten, und du bist tot« –, und erwartete, dass man ihm gehorchte. Das lässt auf Menschenverachtung im Allgemeinen, auf Verachtung der Polizei im Besonderen und auf eine kriminelle Vorgeschichte schließen. Der Tat ging keine Planung voraus – er 79
hatte gerüchteweise gehört, dass Grace Bargeld im Haus hatte, machte sich aber nicht die Mühe he-rauszufinden, ob das den Tatsachen entsprach. Er war es gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen, und wurde gewalttätig, wenn etwas nicht nach seinem Kopf ging.
Er wird heute Ende vierzig sein und vielleicht ein Alkohol- oder Drogenproblem haben. Er hat, oder hatte, rotblondes Haar und wird eine Gefängnis-karriere haben. Als Teenager wohnte er in oder in der Nähe der Mullin Street in Highdown in Bournemouth. Er gehörte einer kaputten Familie an, die bei den Nachbarn unbeliebt war. Er ging nur selten zur Schule und hatte regelmäßig Ärger mit der Polizei. Er besaß Charisma genug, um Mädchen anzuziehen (wahrscheinlich, weil er mit einer charismatischen Bande unterwegs war). Er war der dominante Partner in der Beziehung, auch wenn sie vermutlich die Intelligentere war. Da er des Schreibens und Lesens gar nicht oder kaum mächtig ist, wird er arbeitslos oder als ungelern-te Kraft beschäftigt sein. Er ist jähzornig. Wenn er mit einer Partnerin und Kindern zusammenlebt, werden diese alle in Angst und Schrecken vor ihm leben; wenn das nicht der Fall ist, gibt es irgendwo Frauen und Kinder, die sich vor ihm versteckt halten.
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Eine Auswahl von den mehr als 100 Briefen,
die Jonathan Hughes erreicht haben:
Tithe Cottage
West Staington
Dorset DT2 UVY
Sonntag, 12. August 2001
Sehr geehrter Dr. Hughes,
soeben habe ich die Lektüre Ihres Buchs Kranke Seelen beendet. Besonders interessiert hat mich darin das Kapitel über den Mord an Grace Jefferies, da meine Frau und ich damals in Bournemouth lebten. Wie Sie wissen, war das ein berühmter Fall, der manche Spalte in den großen Zeitungen füllte. Etwas so Schreckliches war in der Stadt ja seit Neville Heaths grauen-haftem Mord an Doreen Marshall im Jahr 1946
nicht mehr geschehen.
Bei allem Respekt, ich kann Ihre Behauptung, dass Howard Stamp unschuldig war, nicht so stehen
lassen. Meine Frau und ich waren mit einer seiner Lehrerinnen an der St.-David’s-Grundschule persönlich bekannt, und sie sagte, er sei schon im Alter von sechs Jahren »nicht in Ordnung«
gewesen. Ich will zugeben, dass das kein Beweis für seine Schuld ist, aber ich glaube doch, dass Lehrer ein Gefühl für solche Dinge besitzen.
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Ich fürchte, Sie sind dieser modernen Neigung auf den Leim gegangen, Vergehen zu entschuldigen, indem man die Schuld entweder auf an-
dere abwälzt oder den Übeltäter als ein Opfer der Umstände darstellt.
Mit freundlichen Grüßen
Brendan Meeonnelli
***
Beantwortet am 15. 9. 01 mit der Bitte um Angabe des Namens der Lehrerin. Nochmals geschrieben am 3. 10. 01 und am 14. 11. 01.
Keine Antwort.
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Der Mann, den Sie suchen, ist Barry Morton.
Er hat rote Haare und wohnt Springhill Close 3, in Christchurch bei Bournemouth. Er prügelt
regelmäßig seine Frau und seine Kinder.
***
Erhalten am 15. 9. 01. Keine Adresse oder
Unterschrift. Barry Morton überprüft – zu jung (1970: 2 Jahre alt).
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Bournemouth
Lieber Dr. Hughes,
ich war mit Howard Stamp in der Schule. Er
ist die ganze Zeit von den anderen schikaniert worden. Nicht dass er oft gekommen wäre.
Manchmal hat seine Mutter ihn praktisch an
den Haaren reingeschleppt, wenn die Behörden
ihr auf den Pelz gerückt sind. Sie war keine
nette Frau, sie hat ihn immer geschlagen. Es
hat mir Leid getan, wie alle ihn behandelt haben. Die Schimpfwörter, die sie ihm an den
Kopf
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