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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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geschmissen haben. Sogar die Lehrer wa-
    ren gemein zu ihm. Ich habe nie geglaubt, dass er seine Großmutter umgebracht hat, aber ich
    weiß nicht, wer es getan hat.
    Mit freundlichen Grüßen
    Jan

    ***
Antwort nicht möglich, da Nachname und Anschrift fehlen.
    85

    G. GARDENER
    Mitglied des Stadtrats
    25 Mullin Street, Highdown, Bournemouth,
    Dorset BH15 6VX
    Dr. Jonathan Hughes
    c/o Agentur Spicer & Hardy
    25 Blundell Street
    London W4 9TP
    17. Dezember 2002
    Lieber Jonathan Hughes,
    ein Interview mit Ihnen, das vor einigen
    Wochen auf Radio 4 gesendet wurde, veran-
    lasste mich, mir Ihr Buch Kranke Seelen zu besorgen. Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass ich in der Straße wohne, in der Grace
    Jefferies ermordet wurde. Allerdings wurden,
    wie Sie sicherlich wissen, ihr Haus und die
    Nachbarhäuser auf beiden Seiten 1972 abgeris-
    sen, weil sie einem großen Wohnhaus weichen
    mussten. Als ich 1985 aus London hierher
    kam, war Grace Jefferies’ Geschichte bereits
    vergessen. Ich wurde erst nach einer Serie
    von Einbrüchen in unserer Straße auf sie auf-
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    merksam, als eine Nachbarin die Bemerkung
    machte, dass sie seit dem Auffinden von Grace’
    Leiche nicht mehr so viel Polizei hier gesehen habe. Da wurde ich natürlich neugierig, und
    sie erzählte mir von dem Fall.
    Seit mehr als einem Jahrhundert genießt
    Bournemouth allgemein den Ruf einer fried-
    lichen, konservativen Stadt mit hübschen
    Villen und schönen Badestränden, in der
    sich Leute aus der oberen Mittelschicht mit
    Vorliebe zur Ruhe setzen. In mancher Hinsicht entspricht die Stadt auch heute noch dieser Vorstellung, aber dank einem Zustrom
    von Dienstleistungsunternehmen – aus dem
    Finanz- und Versicherungswesen sowie dem
    Tourismus –, der Eröffnung der Universität im Jahr 1992 und dem erfolgreichen Betrieb des
    internationalen Flughafens sind in der Stadt
    viele neue Arbeitsplätze entstanden, so dass
    Bournemouth heute als eine der Städte an
    der Südküste gilt, die wirklich »brummen«.
    Angesichts dieser Entwicklung fällt es schwer, sich das »Getto« vorzustellen, das Highdown
    in den Sechzigerjahren war. Zwischen den
    Grenzen der Städte Poole und Bournemouth
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    eingezwängt, war es ein Sammelpunkt für
    schwierige Familien, in denen zwei, manchmal
    drei Generationen von der Sozialhilfe abhängig waren. Die meisten dieser Familien lebten in
    Sozialwohnungen; die 35 % der Bewohner, die
    eigene Häuser hatten, waren Witwen oder
    Ehepaare im Ruhestand, die sich mit einer kleinen Rente oder Pension über Wasser hielten.
    Die Zahl der Verbrechen war im Vergleich mit
    wohlhabenderen Bezirken unverhältnismäßig
    hoch, wenngleich es sich bei den Vergehen
    meist um Gelegenheitsdiebstähle aus Häusern
    und mutwillige Zerstörung fremden Eigentums
    handelte und weit weniger um Raubüberfälle
    und Autodiebstähle, wie sie heute in anderen
    Städten an der Tagesordnung sind.
    Das kann vielleicht wenigstens teilweise den
    Schock erklären, mit dem die Einheimischen
    auf die Ermordung von Grace Jefferies rea-
    gierten. Den Leuten rundherum waren die
    »Penner«-Familien vor ihrer Tür nie ganz ge-
    heuer gewesen, aber sie hatten gelernt, ihre
    Türen abzuschließen und ihr Eigentum zu
    schützen. Ein Mord ›kalifornischer Machart‹
    aber war etwas ganz anderes, zumal das Opfer
    eine menschenscheue Witwe war, die kaum
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    Freunde hatte. Sie gehen in Ihrem Buch darauf verschiedentlich kurz, aber keinesfalls hinreichend ein. Die Panik in der Stadt, die durch
    die Presseschlagzeilen am Samstag nach der
    Auffindung der Leiche erzeugt wurde, war un-
    geheuer.
    In allen Stadtteilen wurde die Polizei von
    verängstigten Frauen belagert, die überzeugt
    waren, sie würden das nächste Opfer sein. In
    einem wahren Massenexodus übersiedelten
    ältere Witwen zu ihren Söhnen oder Töchtern,
    um nicht einem Wahnsinnigen zum Opfer zu
    fallen. Die meisten erinnerten sich noch an die Ermordung Doreen Marshalls durch Neville
    Heath, der ein »Serienmörder« war. Die
    Verurteilung Ian Bradys und Myra Hindleys
    wegen der »Moormorde« im April 1966 war
    den Leuten noch frisch im Gedächtnis. In
    Amerika sollte binnen kurzem der Prozess ge-
    gen Charles Manson und seine Familie eröffnet werden. Es war, als wäre die ganze Welt zu
    einem Mörderhaus geworden.
    Sie sprechen vom Aufatmen der Öffentlichkeit, als Howard Stamp verhaftet und unter
    Anklage gestellt wurde; aber die Anspannung
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    der Leute im Bezirk ließ erst nach, als

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