Der Außenseiter
Er tat das Ganze als Scherz ab und sagte, wenn
Dr. Hughes Recht hätte, müsse die Frau ir-
gendwann am Nachmittag zurückgekommen
sein, um die Brieftasche im oberen Zimmer zu
deponieren, wo Dr. Hughes und ich zu Mittag
gegessen hatten. Zu einer Zeit also, als das
Pub geschlossen war. Und das sei nicht der
Fall gewesen. Ich pflichtete ihm bei, dass die Geschichte absurd sei, und fügte hinzu, wenn
sie stimme, müsse die Frau ja gewusst haben,
wo das Mittagessen stattgefunden hatte, müsse also mit dem Betrieb vertraut sein. Wenn also Roy mit der Beschreibung der Frau nichts anfangen könne, sagte ich, hat sich Dr. Hughes
eindeutig geirrt. Worauf Roy erklärte, dass
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eine Frau dieser Beschreibung ihm nicht be-
kannt sei.
Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass ich in der Vergangenheit nie Anlass hatte, an Roys Wort zu zweifeln. Uns verbindet eine lockere
Freundschaft, nachdem er mir in den vergange-
nen zwei Jahren gestattet hatte, in seinem Pub meine »Bürgersprechstunde« abzuhalten. Ich
kann nicht behaupten, ihn gut zu kennen – er
ist auch kein mitteilsamer Mensch –, aber ich habe ihn stets freundlich und hilfsbereit erlebt, vor allem bei meinen Recherchen über Howard
Stamp. Natürlich hat mich die Lüge stutzig
gemacht, zumal ich keinen Grund für sie er-
kennen konnte. Er hätte doch einfach sagen
können: »Ich kenne mehrere Frauen, auf die
diese Beschreibung passt, auch meine Exfrau
gehört dazu, aber keine von ihnen war an
diesem Tag im Pub.« Ich war ja doch mit ihm
einer Meinung, dass Dr. Hughes sich geirrt haben musste.
Mich interessierte das hinreichend, um auf der Grundlage einer Reihe angenommener Möglichkeiten, die mir einer Prüfung wert schienen, weiter zu recherchieren. Nachfolgend meine Liste: 244
1. Roys Exfrau hat die Brieftasche gestohlen.
2. Sie tat es, weil sie: a) eine Gelegenheits-diebin ist; b) den Auftrag dazu hatte;
c) sich für Dr. Hughes interessierte. Oder
aber es war d) eine Kombination aus allen
drei Gründen.
3. Wenn es ein Gelegenheitsdiebstahl war, woher wusste sie: a) dass sie die Brieftasche
nur Roy zurückzugeben brauchte; b) dass er
sie decken würde?
4. Da sie die Brieftasche zurückgebracht hat, muss sie gewusst haben: a) dass Dr. Hughes
im Pub gewesen war; b) wie er aussieht.
5. Ihr waren diese Fakten bekannt, weil a) sie selbst im Pub gewesen war; oder b) sie sie
von einer dritten Person erfahren hatte.
6. Abgesehen von mir ist Roy Trent der Einzige, der wusste, wann, wo und warum ich
mit Dr. Hughes verabredet war.
7. Priscilla Fletcher kann über diese Einzelheiten nur Bescheid gewusst haben, wenn
Roy sie ihr mitgeteilt hat.
8. Wenn es ihr bei dem Diebstahl nicht
um Geld ging, dann darum, mehr über
Dr. Hughes zu erfahren.
9. Sie hat Roy nicht weiter ausgefragt, weil: a) sie glaubte, er würde ihr nichts sagen;
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oder b) er wirklich nicht mehr wusste; oder
c) er ihr den Auftrag zu dem Diebstahl ge-
geben hatte.
10. Wenn b) oder c) zutreffen, wollte Roy es
vermeiden, durch diesbezügliche Fragen an
mich übermäßiges Interesse an Dr. Hughes
zu bekunden.
11. Dr. Hughes kam einzig aus Interesse an
Howard Stamp nach Bournemouth.
Ich wusste bereits, dass Roy Trent Howard
Stamp gekannt hat, wenn auch nur »vom
Sehen« (wie Roy sagte), doch unter den
Umständen schien es mir nur logisch anzu-
nehmen, dass auch Priscilla Fletcher auf ir-
gendeine Weise mit Howard zu tun gehabt
hat. Aus reiner Neugier nahm ich mir noch
einmal die Presseberichte zum Zeitpunkt der
Ermordung von Grace Jefferies vor. Ich wollte prüfen, ob ich vielleicht irgendetwas übersehen hatte. Ich stieß auf einen Artikel über eine Dreizehnjährige namens Priscilla »Cill«
Trevelyan, die eine Woche vor der Auffindung
von Grace’ Leichnam verschwand. Es ist mir
bis jetzt nicht gelungen festzustellen, ob Cill Trevelyan und Priscilla Fletcher dieselbe Person sind. Doch es gibt Ähnlichkeiten zwischen der 246
Fotografie des verschwundenen Mädchens und
einem Foto von Priscilla Fletcher/Trent, das ich aufgestöbert habe. Es wurde vor fünf Jahren
bei einem Grillfest im Crown and Feathers ausgerechnet von Jim Longhurst gemacht. Ich
hoffe, Dr. Hughes wird die Ironie zu würdigen wissen. (Kopien liegen bei.)
Ich möchte mich keinesfalls zu voreiligen
Schlussfolgerungen hinreißen lassen, aber of-
fenbar wurde Cill vor ihrem Verschwinden
das Opfer einer Vergewaltigung, an der meh-
rere Täter beteiligt waren, was sich
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