Der Außenseiter
Entschuldigung und mei-
ne besten Wünsche für eine rasche Genesung
übermitteln würden. Ich habe ein langes
Gespräch mit Sergeant Lovatt geführt, der
zwar nicht ins Detail gehen wollte, mir aber
mitteilte, dass Dr. Hughes krank war.
Unser Treffen stand unter einem ungünsti-
gen Stern, und daran trage vor allem ich die
Schuld. Ich weiß, was es heißt, krank zu sein, 239
und hätte erkennen müssen, dass Dr. Hughes’
Zurückhaltung auf körperlichem Unwohlsein
beruhte. Er war offensichtlich erschöpft, aber ich bedachte weder seine Krankheit noch den
Jetlag noch dass das scheußliche Wetter an diesem Tag ihm zusetzen könnte. Meine einzige
Entschuldigung sind mein blindes Bestreben,
Howard Stamp zu rehabilitieren, und die
zahllosen Enttäuschungen, die ich bei diesen
Bemühungen erfahren habe. Ich bin mittlerwei-
le so auf Scheitern programmiert, dass ich es bereits vorwegnehme.
Betr: Unser kurzes Telefonat am 13. Februar abends. Roy Trent hält an seiner Behauptung fest, dass Dr. Hughes seine Brieftasche im Pub liegen gelassen hat. Aber nachdem ich von
Sergeant Lovatt Einzelheiten über Dr. Hughes’
Festnahme gehört hatte, erkundigte ich mich
am Bahnhof Branksome. Der Schalterange-
stellte erinnert sich gut an Dr. Hughes, weil verschiedene Reisende Besorgnis über sein
Verhalten geäußert hatten. Im Wesentlichen
berichtete der Mann mir Folgendes:
Er hielt Dr. Hughes für betrunken, als er
bemerkte, dass er schwankte und versuchte,
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seinen Blick auf den anderen Bahnsteig zu
konzentrieren, um sein Gleichgewicht zu hal-
ten. Sein Gesicht war feucht – der Angestellte glaubte, es wäre Regen, bis er erkannte, dass Dr. Hughes stark schwitzte –, und er hielt
seine Aktentasche an seinen Oberkörper ge-
drückt. Es kamen mehrere Züge, aber er stieg
in keinen von ihnen. Mindestens zwei Personen vermuteten, er sei ein Selbstmordattentäter,
der versuchte, den Mut für die Tat zusammen-
zuraffen. Der Angestellte erwog bereits, die
Polizei zu benachrichtigen, als er bemerkte,
dass eine Frau sich Dr. Hughes näherte. Es
sah aus, als wären die beiden miteinander
verabredet, sie lächelten und sprachen mit-
einander, und Dr. Hughes übergab der Frau
seine Aktentasche, der sie einige Schriftstücke entnahm. Der Angestellte erinnerte sich, die
Frau schon vorher in der Schalterhalle gesehen zu haben, und nahm an, Dr. Hughes habe den
Ort der Verabredung nicht richtig im Kopf ge-
habt. Er gab zu, dass er das Ganze nicht weiter ernst genommen hätte, wenn Dr. Hughes kein
Araber gewesen wäre – er hätte ihn einfach als Betrunkenen abgetan. Er war erleichtert, als
die Frau Dr. Hughes in einen Zug half und
ihm so das Problem abnahm. Sie hatte dunkle
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Haare und trug einen Schal, der ihre untere
Gesichtshälfte verdeckte. Mehr kann er nicht
über sie sagen, außer dass sie mit einem
schwarzen BMW wegfuhr, der eine Dreivier-
telstunde lang im Halteverbot gestanden hatte.
Da mir dies Dr. Hughes’ Version der Ereignisse zu bestätigen schien, zog ich einige diskrete Erkundigungen über Roy Trents geschiedene
Frau ein. Sie heißt Priscilla Fletcher, vormals Cill Trent. Es ist mir nicht gelungen, ihren
Mädchennamen ausfindig zu machen, aber der
Beschreibung nach ist sie Mitte vierzig, mit-
telgroß, schlank und attraktiv. Sie hat dunk-
les Haar, trägt einen Ponyschnitt, und ihre
Augenfarbe ist hell (möglicherweise blau). Ihr derzeitiger Ehemann, Nicholas Fletcher, ist
»Geschäftsmann« – wobei unklar ist, was für
Geschäfte genau er macht –, und die beiden
leben in Sandbanks, einem teuren Teil Pooles.
Sie hat ein Kind von Roy – einen Sohn, der
jetzt um die dreißig(!) ist –, aber keine Kinder von Fletcher. Wegen des Sohnes unterhalten
sie und Roy weiterhin eine freundschaftliche
Beziehung. Es gibt zwar keinen Beweis dafür,
dass sie die Frau ist, die sich Dr. Hughes genä-hert hat, aber die Beschreibung passt.
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Dennoch bleibt mir rätselhaft, warum Priscilla Fletcher, allem Anschein nach eine wohlhabende Frau, (oder aber eine ihrer Freundinnen) die Brieftasche gestohlen haben soll. Ich
erzählte darum Roy Trent die Geschichte
des Bahnangestellten und frisierte dabei die
Beschreibung der Frau ein wenig, um eine
größere Ähnlichkeit mit Priscilla Fletcher
vorzutäuschen. Roys Reaktion auf meine
Frage, was er in Anbetracht von Dr. Hughes’
Gewissheit, dass diese Frau die Diebin sei,
von der Geschichte halte, war interessant.
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