Der Außenseiter
die
Vergewaltigung zu sprechen …; … (Cill)
glaubte, die Leute würden sagen, sie sei
selbst schuld …« In allen diesen Aussagen
steckt die starke Vermutung, dass Cill
von ihrem Vater, David Trevelyan, kein
Mitgefühl zu erwarten gehabt hätte, wenn
sie von der Vergewaltigung erzählt hätte.
• »… zu einer Prügelei gehören immer zwei,
und das andere Mädchen bekam überhaupt
keine Strafe.« Auch hier lassen sich wieder
verschiedene Schlüsse ziehen. Streit zwischen Kindern entsteht am häufigsten, wenn eines
dem anderen droht: »Das sag ich.« Wenn
»die Freundin« auch »das andere Mädchen«
war, dann war die Vergewaltigung das ge-
meinsame Geheimnis, und eine Drohung, es
zu verraten, kann der Grund für den Streit
gewesen sein. Wenn »das andere Mädchen«
nicht »die Freundin« war, dann ist Cill ent-
weder wegen irgendeiner beliebigen Sache
in Zorn geraten oder das Geheimnis war heraus. Die Tatsache, dass Cill bestraft wurde und das andere Mädchen nicht, lässt ver-
muten, dass Cill den Streit angefangen hat
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und/oder die Gewalttätigere war und/oder
sich weigerte, den Grund für den Streit zu
nennen.
• Nach all diesen Hinweisen muss man wohl
Constable Prentices Analyse zustimmen,
dass Cill ein »schwieriges Kind« war, »das
zu Hause und in der Schule Probleme hatte«.
(Es gab in ihrem Leben ein ungewöhnlich
hohes Maß an Aggression – dass sie in der
Schule zugeschlagen hat, lässt vermuten,
dass sie Schläge von zu Hause kannte.) So
wahrscheinlich es ist, dass ein solches Kind
von zu Hause ausreißt – einschlägige Studien
lassen darauf schließen, dass die meisten
Ausreißer körperlichem oder sexuellem
Missbrauch ausgesetzt waren –, so unwahr-
scheinlich ist es, dass Cill ihren Namen
beibehalten hätte. Ja, wenn sie nach zwei
Monaten nicht gefunden worden und noch
am Leben war, muss sie einen anderen Namen angenommen haben. Und ich glaube,
dass sie diesen anderen Namen beibehalten
hätte – selbst wenn sie nach Hause zurückgekehrt wäre –, um damit ihrem Vater zu demonstrieren, dass die Regeln sich geändert
hatten, und eine neue Person nun den Ton
angab.
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Ich weiß so wenig wie Sie, welche Vermutun-
gen zutreffen. Ich denke aber, es wäre einen
Versuch wert, Cill Trevelyans Schulfreundin
ausfindig zu machen. Sie war wahrscheinlich
im selben Alter wie Cill, und bei einer 13-Jährigen hätten die Vergewaltigung (noch dazu,
wenn sie vielleicht Zeugin wurde und nichts
tat, um zu helfen) in Verbindung mit den nachfolgenden Schuldgefühlen darüber, nichts getan zu haben, mit der bösartigen Drohung zu »pet-zen« und mit Cills Verschwinden ein schweres
Trauma verursacht.
Ich bin kein Psychologe und verlasse mich deshalb darauf, dass Sie mit Ihrer Sachkenntnis
prüfen, ob die nachfolgenden Überlegungen
realistisch sind. Die Schulfreundin scheint mir als Priscilla Fletcher wahrscheinlicher als Cill Trevelyan. (Übertragungsreaktion? Linderung der Schuldgefühle durch »Wiedererwecken«
des Menschen, dem Unrecht zugefügt wurde?
Neid/Heldenverehrung – Cill hat sich entzo-
gen, und sie nicht?) Ist davon etwas vorstellbar? Kann ein Trauma in der Kindheit das
Verhalten bis ins mittlere Erwachsenenalter
bestimmen?
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Es fällt mir schwer, eine Verbindung zwischen Cills Verschwinden und Howards Geschichte
herzustellen, obwohl ich natürlich den mage-
ren, rotblonden »Vergewaltiger« zur Kenntnis
genommen habe. (Auch die beiden mittel-
großen, dunkelhaarigen Jungen, von denen
einer Roy gewesen sein könnte. Gehen Ihre
Überlegungen in diese Richtung?) Mit Bezug
auf die Jungen kann ich nur sagen, dass es
einer beträchtlichen Unverfrorenheit bedurft
hätte, nur Stunden nach einer polizeilichen
Vernehmung in Zusammenhang mit einer
Vergewaltigung bei einer wehrlosen alten Frau einzubrechen und sie zu Tode zu quälen. Auch
hier vertraue ich auf eine Analyse jugendlichen Verhaltens von Ihnen.
Letztlich habe ich – es sei denn, Sie belehren mich mit Beweisen für Cills Wiederauftauchen
eines Besseren – nach der Lektüre der
Presseberichte den starken Verdacht, dass Cill in Wirklichkeit niemals ausgerissen ist, sondern von ihrem Vater getötet wurde. Einem der Artikel zufolge wurde David Trevelyan nach
seiner Vernehmung durch die Polizei entlastet, aber ich würde schon handfeste Beweise brauchen, um an seine Unschuld zu glauben. Die
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Statistik lügt nicht. Kinder, die sich … in »Luft
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