Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
auflösen«, sind meistens tot, und Kinder, die
    »verschwinden«, sind meistens Opfer elterli-
    cher Gewalt. David Trevelyan war ein gewalt-
    tätiger Mensch, und ich fürchte, Cill machte
    den Fehler, die »Prügelei« in der Schule damit rechtfertigen zu wollen, dass sie ihm von der Vergewaltigung berichtete.
    Ich freue mich darauf, von Ihnen zu hören.
    Mit freundlichen Grüßen
    Ihr
    Jonathan Hughes
    268

    Von:
    George Gardener [geo.gar@mul inst.co.uk]
    Abgesandt: Di, 08. 04. 03, 19 : 20
    An:
    [email protected]
    Betreff:
    Cill Trevelyan
    Lieber Jonathan, Sie haben Recht. Ich habe nirgends einen Hinweis darauf gefunden, dass Cill Trevelyan irgendwann wieder aufgetaucht ist. David & Jean Trevelyan sind in den Achtzigerjahren aus Highdown weggezogen, aber ihre neue Adresse habe ich bis jetzt nicht. Mein neuer Freund (!), Sergeant Lovatt, will sie für mich herausfinden. Er versucht au-
    ßerdem, die Akte über Howard Stamp aufzustöbern. Offenbar wurde vor gut zwanzig Jahren al es in einem Zentralarchiv gesammelt. Da aber die Akten abgeschlossener Fäl e im Al gemeinen vernichtet werden, hat er nicht al zu viel Hoffnung, dass ihm dies gelingt. Ich drücke trotzdem die Daumen.
    Betr.: Die Schulfreundin und Übertragung. Übertragung ist im Al gemeinen ein innerer Vorgang – meist spielt er sich im Rahmen einer Psychotherapie ab –, durch den Persönlichkeits-merkmale von Eltern/Partnern/Freunden auf eine andere Person übertragen werden. Es handelt sich um eine kindliche Reaktion, bei der neurotische Verhaltensmuster, häufig solche, die sich in der frühen Kindheit gebildet haben, spätere Beziehungen färben – um ein sehr simples Beispiel zu geben: Ein Kind, das in Angst vor einem strengen Vater aufwächst, wird später vor al en Autoritätspersonen Angst haben.
    269

    Natürlich ist die Sache weit komplexer, aber ganz al gemein hat Übertragung mit einem echten oder subjektiv wahrgenom-menen Machtungleichgewicht in einer Beziehung zu tun, das in andere Beziehungen hineingetragen wird. Das Alter spielt dabei keine Rol e. (NB: Es muss übrigens nicht unbedingt eine negative Reaktion sein. Wer als Kind voll Bewunderung für seinen Vater aufwächst, wird voraussichtlich als Erwachsener zu Autoritätspersonen aufschauen.)
    Wenn Sie Recht haben und Priscil a Fletcher tatsächlich die Schulfreundin ist, dann ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass das Trauma, das sie als 13-Jährige erlitten hat, bis in ihr Erwachsenenleben hineinwirkt. Am ehesten würde das meiner Meinung nach jedoch für Cill zutreffen, denn sie hat ja den Missbrauch am eigenen Leib erfahren. In mancher Hinsicht, würde ich sagen, kommt Idolisierung oder Heldenverehrung dem, wonach Sie suchen, näher.
    Bei Howard zum Beispiel haben wir es mit einem typischen Fall von Heldenverehrung zu tun. Sie haben selbst darauf hingewiesen, als Sie schrieben, dass er sein Idol, Ginger Baker, nach-ahmte. Er wol te wie Baker aussehen, wünschte sich den Mut, genauso zu rebel ieren, wol te wie Baker bewundert werden. Er wol te das eigene ungeliebte Selbst durch eines ersetzen, das für ihn akzeptabler war. Ich muss erst noch weitere Recherchen anstel en, aber es ist nicht undenkbar, dass Cill einem traumatisierten Kind zum »Totem« wurde, besonders dann, wenn ihr 270

    Verschwinden den Verlust der besten Freundin bedeutete. Ich frage mich al erdings, wie lange diese Gefühle angehalten hätten.
    Auf jeden Fall werde ich Ihren Rat befolgen und versuchen, die Freundin ausfindig zu machen. Zumindest wird sie uns etwas über die Zustände in Highdown im Jahr 1970 sagen können.
    Fred Lovatt meinte, Cil s Geschichte sei unter anderem deshalb so bald aus den Schlagzeilen verschwunden, weil schon wenige Tage später der Mord an Grace Jefferies und Howard Stamps Festnahme al e Aufmerksamkeit auf sich zogen. Trotzdem lassen mich die Paral elen, was Ort und Zeit angehen, aufhor-chen. Es scheint so unwahrscheinlich, dass zwei Ereignisse, die nichts miteinander zu tun haben, sich innerhalb einer so kurzen Zeitspanne am selben Ort zugetragen haben sol en, aber ich verstehe natürlich Ihren Hinweis auf die Jungen und die Unverfrorenheit, kurz nach dem Verhör einen Mord zu bege-hen. So etwas soll es al erdings geben. Jack the Ripper tötete zwei Frauen innerhalb einer halben Stunde, obwohl er bei der Ausführung des ersten Mords gestört worden war und die Jagd auf ihn bereits begonnen hatte. Das Adrenalin hat eine seltsame Wirkung auf Körper und Geist.
    Mit

Weitere Kostenlose Bücher