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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Trevelyan seine Tochter Priscilla geschlagen hat – sogar die Mutter hat das indirekt zugegeben, als sie von seiner Strenge sprach –, aber hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs habe ich meine Zweifel. William Burtons Bericht von der Vergewaltigung lässt darauf schließen, dass Cill noch unberührt war. Er sagte, ihre Beine seien voller Blut gewesen, so dass Louise nach Hause laufen und eine lange Hose für sie holen musste, damit keiner es merkte. Es kann natürlich Menstruationsblut gewesen sein, aber ich neige mehr zu der Vermutung, dass ihr Hymen gerissen ist … und das würde bedeuten, dass sie bis zu der Vergewaltigung unberührt gewesen war.«
    »Aber das heißt nicht, dass sie nicht auf andere Weise in die Sexualität eingeführt worden war«, entgegnete Jonathan.
    »Richtig. Und wenn ihr Vater der Verantwortliche war, dann erklärt das, warum sie nicht wollte, dass er von der Vergewaltigung erfährt. Er hätte zweifellos behauptet, sie habe sie selbst provoziert. Diese Ausrede benutzen Kinderschänder und Vergewaltiger ja regelmäßig, um ihr Verhalten zu entschuldigen – nicht sie hätten Schuld, sondern das Opfer, das sie gereizt hat.« Sie tippte mit dem Stift auf ihren Block. »Die gleichen Argumente 335

    träfen auf die Mutter zu. Ich habe in einer Studie gelesen, dass bis zu fünfundzwanzig Prozent der Missbrauchsdelikte von Frauen verübt werden.
    Weiß der Himmel, was innerhalb dieser Familie los war.«
    »Oder außerhalb«, bemerkte Jonathan. »Vielleicht war ein Nachbar oder Verwandter der Verführer
    – vielleicht war ihr Vater über ihre Sexualisierung so besorgt wie ihre Lehrer und wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Es kann gut sein, dass er nur der körperlichen Züchtigung schuldig war.« Er warf der ehemaligen Schulleiterin einen fragenden Blick zu. »Was war er für ein Mensch? Haben Sie ihn näher gekannt?«
    »Nein, eigentlich nicht. Ich habe einmal mit ihm gesprochen, weil Priscilla ständig den Unterricht schwänzte, und dann noch einmal nach ihrem Verschwinden. Beide Male war er sehr aufgebracht. Wir kamen nicht zu einer Verständigung.
    Beim ersten Mal erklärte er mir, es sei die Pflicht der Schule, dafür zu sorgen, dass seine Tochter regelmäßig am Unterricht teilnimmt, und beim zweiten Mal machte er mir Vorwürfe, weil ich Priscilla vom Unterricht ausgeschlossen hatte und Louise nicht. Er sagte, wenn er gewusst hätte, dass Louise Burton das Mädchen war, mit dem seine Tochter sich geschlagen hatte, hätte er meine Strafmaßnahme nicht unterstützt.«
    »Was glauben Sie, warum er so etwas sagte?«
    336

    Sie überlegte einen Augenblick. »Beide Elternpaare waren überzeugt, dass jeweils das andere Kind ihr eigenes zum Schuleschwänzen angestif-tet habe, aber ich war schon damals sicher – und bin es immer noch –, dass Mr. Trevelyan mir die Schuld in die Schuhe schieben wollte. Wenn er nachweislich nur eine Strafmaßnahme der Schule unterstützt hatte, brauchte er sich wegen Priscillas Verschwinden – aus welchem Grund auch immer –keine Vorwürfe zu machen.«
    »Sie haben ihn nicht gemocht?«, sagte George.
    »Nein«, antwortete die alte Frau mit Entschiedenheit. »Er war ein brutaler Mensch, der mir mit der Faust drohte und erwartete, dass ich mich ihm beugen würde. Ich erklärte ihm beide Male klipp und klar, dass es meine Pflicht sei, Priscillas Schwänzen den Eltern und den zuständigen Behörden zu melden. Daraufhin gab er prompt der Schule die Schuld an ihren Schwierigkeiten. Wir hätten sie nicht gefördert – sie langweile sich im Unterricht –wir forderten sie nicht genug – sie sei zu intelligent für eine Schule wie die in Highdown.«
    »Und das wurde dann alles in der Zeitung breit-getreten?«
    »Ja.« Sie seufzte wieder. »Ohne dass wir etwas dagegen sagen konnten. Es wäre doch schäbig gewesen, dem Bild der Eltern von ihrer Tochter zu widersprechen, und noch schäbiger zu behaupten, die Trevelyans hätten« – sie sah Jonathan mit schräg 337

    geneigtem Kopf an – »ihrer Aufgabe als Eltern nicht genügt. Sie kennen ja den Spruch: De mor-tuis nihil nisi bene.«
    Jonathan sah sie neugierig an. »Ist das nur eine Redewendung, oder glaubten Sie tatsächlich, das Mädchen sei tot?«
    »Beides. Wenn ein Kind verschwindet, wühlt das sehr stark auf … wir haben alle um sie getrauert.
    Jeder erwartete, dass man irgendwo ein hastig aus-gehobenes Grab finden würde, und als das nicht geschah …« Sie zuckte resigniert mit den Schultern.
    »Ihre

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