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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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auf dem schütteren Haar und hatte, um sein Gesicht zu ver-fremden, eine billige, beim Drogeriemarkt Boots gekaufte Lesebrille mit schwarzen Rändern auf.
    Auf dem Lenkrad vor ihm lag ein aufgeschlagener Hefter voller Schriftstücke, in denen er zu lesen vorgab, aber allmählich wurde er nervös und bekam Angst, dass jemand ihn für einen Einbrecher halten und die Polizei alarmieren würde.
    Das Haus stand in einer Seitenstraße hinter der Panorama Road, wo die Grundstückspreise wegen des freien Blicks auf den Hafen von Poole und die Insel Brownsea exorbitant waren, aber selbst für 345

    die Villa im spanischen Stil, die keine Aussicht aufs Meer hatte, musste man nach Billys Schätzung mindestens eine Million Pfund hinlegen. Er hatte irgendwo gelesen, dass auf der Halbinsel Sandbanks die vierthöchsten Quadratmeterpreise auf der Welt bezahlt wurden. Nur in Tokio, Hongkong und in London, in Belgravia, wohnte man noch teurer. Ihm war völlig schleierhaft, warum. Hätte er die Wahl gehabt, er hätte ein Grundstück am Strand von Malibu in Kalifornien vorgezogen, wo das Wetter das ganze Jahr über angenehme Temperaturen bot.
    Ein Auto näherte sich, und er rutschte mit heftigem Herzklopfen tiefer in den Sitz. Das war ja idiotisch.
    Prominente kauften sich hier Wochenendhäuser –die Hälfte der Häuser stand oft monatelang leer.
    Wahrscheinlich wurde er schon die ganze Zeit von einer Überwachungskamera aufgenommen. Wer zum
    Teufel war dieser Fletcher? Wie konnte er es sich leisten, Tür an Tür mit Popstars und Fußballgrößen zu wohnen? Es war ein Rätsel. Alle Erkundigungen, die Billy über ihn angestellt hatte, waren ergebnis-los geblieben. »Nie von ihm gehört …« – »Tut mir Leid …« –
    »Wenn er auf Sandbanks sitzt, spielt er in einer anderen Liga als ich, Kumpel …« – »Was für Geschäfte macht der denn?«
    Billy war stark versucht gewesen, dem Crown and Feathers einen Besuch abzustatten und Roy Trent 346

    ein paar Fragen zu stellen, aber das hatte er dann doch lieber gelassen. Bei Leuten wie Trent war Vorsicht geboten, also besser nicht im Wespennest herumstochern. Trent war mehr als dreißig Jahre lang in den Tiefen seines Gedächtnisses verschüttet gewesen, und er verwünschte Georgina Gardener dafür, dass sie den Kerl ans Licht gezogen hatte.
    Nun versuchte er seit Tagen, mit zwei Stunden Schlaf pro Tag auszukommen, und machte seine Töchter wahnsinnig damit, dass er sie auf Schritt und Tritt bewachte. Er hatte jede Minute der Vergewaltigung noch einmal durchgemacht, aber aus der Perspektive des erwachsenen Mannes, nicht aus der eines naiven, vom Alkohol be-schwipsten Zehnjährigen, der keine Ahnung hatte, was ablief. Er wusste sogar, was ihm zu schaffen machte – posttraumatischer Stress nannte man das –, denn er war lange genug bei der Feuerwehr, um die Symptome zu erkennen. Es war eine Berufskrankheit – das bleibende Trauma nach den Rettungsbemühungen um Unfall- und Brandopfer war quälend –, aber er konnte sich die mehr als dreißigjährige Verspätung – und die Intensität –, mit der seine Schuldgefühle sich nun meldeten, nicht erklären.
    Warum gerade jetzt? Mit den Detektiven, die auf der Suche nach Cill zu ihm gekommen waren, hatte er die Geschichte abgehandelt, ohne mit der Wimper zu zucken, und dann tauchte diese dicke 347

    kleine Person auf, hielt ihm ein Foto unter die Nase, und er ging total aus dem Leim. Die Frau hatte ihm zu viel erzählt, das war es. »Wahrscheinlicher ist, dass sie Cill mit der Vergewaltigung gehänselt hat … Man braucht sehr viel Fantasie, um sich die verheerenden Auswirkungen einer Vergewaltigung auf das Opfer vorzustellen, noch dazu einer Vergewaltigung, die von mehreren Tätern begangen wurde … Das arme Kind hat sich wahrscheinlich Tag für Tag wundgeschrubbt, um sich von dem Schmutz zu reinigen …«
    Dreißig Jahre später begriff er endlich, was das Blut an Cills Beinen zu bedeuten gehabt hatte, und allein der Gedanke daran machte ihn krank. Wie das bei Träumen so ist, waren es seine Zwillinge, die ihn in seinen Albträumen heimsuchten, mit zart schwellenden Kleinmädchenbrüsten und von jungfräulichem Blut übergossenen Beinen. Hatte Louise damals schon begriffen, was geschah? Ja, sie musste es verstanden haben. Er erinnerte sich ihres schadenfrohen Lächelns, als sie mit einer langen Hose zurückgekommen war und diese auf den Boden geworfen hatte. »Männer merken das gleich«, hatte sie gesagt. »Jetzt findest du nie einen,

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