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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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dieser Freundschaft die Tonangebende?«
    »Eindeutig. Sie war die weit stärkere Persönlichkeit. Sie war auch diejenige, die mit dem Schwänzen anfing – zuerst nur nachmittags, dann ganze Tage.«
    »Täglich? Wie lange ging das so?«
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    Hilda Brett überlegte kurz. »Genau kann ich es nicht mehr sagen – vielleicht ein- oder zweimal im zweiten Trimester. Beide Elternpaare bekamen vor den Osterferien Briefe, aber ich weiß noch genau, dass die Mädchen in den ersten zwei Wochen des Sommertrimesters die meiste Zeit fehlten. Das änderte sich schlagartig nach der Vergewaltigung –wobei wir allerdings erst später erfuhren, was die Veränderung herbeigeführt hatte. Ich schrieb die Besserung naiverweise einem Brief von mir an die Väter der beiden Mädchen zu, in dem ich sofor-tigen Schulausschluss angedroht hatte, falls sich nichts änderte.«
    »Wann wurden die Briefe abgeschickt?«
    »Es muss am Tag der Vergewaltigung gewesen sein. Die beiden waren an dem Morgen wieder nicht zum Unterricht erschienen, und daraufhin beschloss ich durchzugreifen.«
    »Und Louise war nur eine Mitläuferin? Nicht die Anstifterin?«
    Wieder nahm sie sich Zeit zum Überlegen.
    »Louise war ein merkwürdiges Kind – eine kleine Intrigantin, wenn Sie mich fragen. Für meine Begriffe hat sie Priscilla damals bei der Polizei an-geschwärzt. Sie hat ein vernichtendes Bild von ihr gezeichnet. Sie stellte Priscilla als ein gewaltberei-tes, promiskuitives, aufsässiges junges Mädchen dar, die ihre Eltern hasste, die Schule schwänzte, um sich mit Jungen zu treffen, und die andere 342

    Kinder unter Druck setzte. Es mag ein Fünkchen Wahrheit in dieser Beschreibung enthalten gewesen sein – Priscilla war groß und kräftig für ihr Alter und konnte hart zurückschlagen, wenn sie gehänselt wurde –, aber sie war weder brutal noch hat sie andere tyrannisiert. Auf kleinere Kinder, vor allem solche, die etwas schüchtern waren, übte sie eine starke Anziehungskraft aus, aber ich kann mich nicht erinnern, dass sie je unfreundlich zu einem von ihnen gewesen wäre – im Gegenteil, sie beschützte sie eher.«
    »William Burton sagte, die polizeiliche Vernehmung habe Louise Angst gemacht. Vielleicht wollte sie Mitgefühl hervorrufen.«
    »Bestimmt.« Hilda Bretts Stimme hatte einen bei-
    ßenden Unterton. »Das war ganz ihre Art. Tränen und Ohnmachten, und wenn man mit ihr sprach, konnte sie einem nicht in die Augen sehen – das genaue Gegenteil von Priscilla. Die hat den Kopf hochgeworfen und gekämpft. Das bedeutet nicht, dass Louise an den Dummheiten keinen Anteil hatte. Es heißt nur, dass ihre Freundin die Strafe für beide bekam.«
    »Wie bei der Vergewaltigung?«
    »Ich denke, ja.«
    »Und bei der Schlägerei, die für Priscilla zum Unterrichtsausschluss führte?«
    »Ja. Das war ganz typisch für Louise. Ihre Lehrerin berichtete mir damals, Louise hätte den 343

    ganzen Morgen flüsternd auf Priscilla eingeredet, aber Louise behauptete, es sei genau umgekehrt gewesen – Priscilla hätte sie wieder zum Schwänzen verleiten wollen und wäre aggressiv geworden, als sie nicht mitmachen wollte.«
    »Und was sagte Priscilla dazu?«
    »Nichts«, antwortete Hilda Brett bekümmert.
    »Ich habe sie gewarnt, dass sie vom Unterricht ausgeschlossen werden würde, wenn sie mir keine Erklärung gäbe. Ich deutete sogar an, dass Louise sie wahrscheinlich provoziert habe« – wieder seufzte sie –, »aber sie wollte nicht lügen.«
    »Im Gegensatz zu Louise.«
    »Hm.«
    »Halten Sie es rückblickend für möglich, dass sie Priscilla wegen der Vergewaltigung hänselte?«, warf George ein.
    »Ganz sicher.«
    »Das ließe auf Grausamkeit schließen – oder auf fehlende Fantasie.«
    Hilda Brett überlegte. »Grausamkeit – ja, möglicherweise. Sie hat sich jedenfalls offenkundig über Priscillas Bestrafung gefreut. Aber mir ist nie ein intrigantes Kind untergekommen, dem es an Fantasie mangelte«, schloss sie mit einem dünnen Lächeln. »Die ist schließlich erforderlich, wenn man Gerüchte über seine Altersgenossen in die Welt setzen will.«
    344

    13
    Halbinsel Sandbanks, Bournemouth
    Mittwoch, 23. April 2003, morgens
    Billy Burton saß seit mehr als einer Stunde in seinem alten Renault und beobachtete das Haus der Fletchers. Fast zwei Wochen waren vergangen, seit er Georgina Gardener die Adresse der Detektei in Bristol gegeben hatte, und er glaubte mittlerweile nicht mehr, dass sie daraufhin etwas unternommen hatte. Er trug eine Baseballmütze

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