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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ähnlich strahlenden Himmel hoffen dürfen. Doch überlegt. Selbst der heldischste Held noch, der im Dienste der allerehrenwertesten Sache stirbt, ja sogar der frömmste christliche Märtyrer, der in der Gewißheit stirbt, in den Himmel zu kommen – nicht einmal der wird jemals wieder die Liebkosung des Mondscheins dieser Welt auf seinem Gesicht spüren, wenn er unter den raschelnden Zypressen dieser Welt dahingeht. Ein harmloses Vergnügen – klein, so schlicht, so gewöhnlich –, aber es nie wieder zu erleben!
    Euer Exzellenz bekunden Ungeduld. Verzeiht, Señor Bischof, daß mein alter Geist manchmal vom geraden Pfad abweicht und sich auf gewundenen Nebenwegen ergeht. Ich weiß, manches, was ich erzählt habe und anderes, wovon ich noch erzählen werde, betrachtet Ihr vielleicht nicht gerade als streng historischen Bericht. Aber ich bitte Euch um Geduld, denn ich weiß nicht, ob ich jemals wieder Gelegenheit haben werde, diese Dinge zu sagen. Und bei allem, was ich sage, sage ich doch nicht alles, was gesagt werden könnte …
    Zu unserer Zeit gab es nur wenige Gesetze – absichtlich wenige, damit jedermann sie alle in seinem Kopf und in seinem Herzen haben und sich nicht mit Nichtwissen herausreden konnte, wenn er gegen sie verstieß.
    Diese Gesetze wurden nicht niedergeschrieben wie die euren, und auch nicht an öffentlichen Plätzen angeschlagen, wie ihr es macht, so daß man ständig gezwungen ist, die lange Liste von Verordnungen, Regeln und Gesetzen zu befragen, weil man sich bei euch auch noch in der geringsten seiner Handlungen nach dem »Du sollst« und »Du sollst nicht« richten muß. Für eure Begriffe mögen unsere wenigen Gesetze sich lax oder launisch ausnehmen und die Strafen, die für Verstöße gegen dieselben verhängt wurden, unangemessen hart. Dennoch wirkten sich unsere Gesetze für uns alle zum Guten aus – und da jedermann die furchtbaren Folgen kannte, die ein Verstoß nach sich zog, richtete sich jeder nach ihnen. Und wer es nicht tat – nun, der verschwand.
    Ein Beispiel. Nach den Gesetzen, die ihr aus Spanien mitbrachtet, wird ein Dieb mit dem Tode bestraft. So war das früher bei uns auch. Nur gilt nach euren Gesetzen ein Hungriger, der etwas Nahrung stiehlt, als Dieb. Nicht so bei uns. In einem unserer Gesetze hieß es, daß von jedem Maisfeld, das an einer öffentlichen Straße angelegt wird, die vier der Straße zunächst liegenden Reihen dem Vorübergehenden zur Verfügung stünden. Jeder hungrige Reisende konnte also so viele Maiskolben brechen, wie sein Bauch brauchte. Jemand jedoch, der sich aus Habgier zu bereichern trachtete und das Maisfeld plünderte, um einen Sackvoll nach Hause zu tragen oder zu verkaufen, mußte, wenn er dabei erwischt wurde, sterben. So sorgte das Gesetz für zweierlei Gutes zugleich: dafür, daß jemand, der stahl, für immer von seiner Dieberei geheilt wurde, und dafür, daß der Hungrige niemals zu verhungern brauchte.
    Unser Leben wurde weniger von Gesetzen geregelt als vielmehr von althergebrachten Sitten und Gebräuchen. Die meisten davon bestimmten das Verhalten von Erwachsenen, von Familienverbänden und ganzen Gemeinden. Gleichwohl wurde ich mir schon als Kind, das noch nicht über den Namen Sieben Blume hinausgewachsen war, bewußt, welch ganz besonderen Wert die Tradition darauf legte, daß ein Mann tapfer, stark, mutig, arbeitsam und ehrlich zu sein habe und eine Frau bescheiden, sittsam, sanft, arbeitsam und zurückhaltend.
    Die Zeit, die ich nicht mit meinen Spielzeugen verbrachte – das meiste davon kleine Kriegswaffen und Nachbildungen des Arbeitsgeräts, das mein Vater für sein Handwerk brauchte – und die Zeit, in der ich nicht mit Chimáli und Tlatli und anderen Jungen meines Alters spielte, verbrachte ich, sofern er nicht im Steinbruch arbeitete, in der Gesellschaft meines Vaters. Wiewohl ich ihn selbstverständlich Tete nannte, wie alle Kinder ihren Vater nennen, hieß er eigentlich Tepetzálan, was soviel bedeutet wie Tal, und zwar nach dem tiefliegenden Ort zwischen den Festlandbergen, in dem er geboren war. Da er die meisten Männer bei uns um Haupteslänge überragte, klang dieser Name, den er im Alter von sieben Jahren bekommen hatte, für einen Erwachsenen ziemlich lächerlich. Alle unsere Nachbarn und die anderen Steinbrucharbeiter riefen ihn bei einem Spitznamen, der eine Anspielung auf seine Größe enthielt: Handvoll Sterne, Kopf Neiger und dergleichen. Und in der Tat mußte er den Kopf weit bis zu mir

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