Der Azteke
Gebieter«, sagte ich, immer noch lächelnd. »Aber ich glaube, ich weiß, was sie gesehen haben. Gestattet, daß ich eine Frage stelle?« Durch ein knappes Nicken gab er sein Einverständnis. »Diese Dinge, die erwähnt wurden – schwimmendes Haus, geflügeltes Wesen –, hat es sich dabei um ein und dasselbe Ding gehandelt oder um zwei verschiedene?«
Motecuzómas Miene verdüsterte sich noch mehr. »Der Bote war fort, ehe wir nähere Einzelheiten von ihm erfahren konnten. Immerhin hat er gesagt, daß zwei Dinge gesichtet worden seien. Ich würde meinen, das eine kann ein schwimmendes Haus, das andere ein Ding mit Flügeln gewesen sein. Aber was sie auch immer gewesen sein mögen, sie sollen ziemlich weit vom Ufer entfernt geblieben sein, so daß vermutlich niemand eine sehr zutreffende Beschreibung davon geben könnte. Warum behältst du dieses verfluchte Grinsen weiterhin bei?«
Ich versuchte, es zu unterdrücken und sagte: »Eingebildet haben die Leute sich diese Dinge nicht, Verehrter Sprecher. Sie sind nur zu träge, sie genauer untersucht zu haben. Wenn irgendein Beobachter zur Tat geschritten und beherzt hingeschwommen wäre, würde er erkannt haben, daß es sich um Meerestiere handelte – wunderschöne, wie man sie vielleicht nicht häufig zu sehen bekommt, aber nicht weiter geheimnisvolle – und dann würden die Maya-Boten jetzt keinen unnützen Schrecken verbreiten.«
»Soll das heißen, du hättest solche Dinge schon gesehen?« sagte Motecuzóma und blickte mich geradezu ehrfürchtig an. »Ein schwimmendes Haus?«
»Nein, kein Haus, Hoher Gebieter, aber einen Fisch – ehrlich und ohne Übertreibung größer als ein Haus. Die Fischer am Meer nennen ihn den Yeyemichi.« Ich erzählte ihm, wie ich einst hilflos in einem Kanu auf dem Meer getrieben sei und neben vielen anderen merkwürdigen Tieren auch ein Riesenschwarm von diesen Ungeheuern mich so nahe umschwommen hätte, daß mein zerbrechliches Boot in Gefahr gewesen sei. »Dem Verehrten Sprecher fällt es vielleicht schwer, mir Glauben zu schenken, aber wenn ein Yeyemichi mit dem Kopf gegen die Mauer vorm Fenster des Hohen Gebieters stieße, könnte sein Schwanz unter den Überresten des Palastes des verblichenen Verehrten Sprechers Ahuítzotl hin und her schlagen, welche sich auf der anderen Seite des Großen Platzes befinden.«
»Das sagst du?« murmelte Motecuzóma nachdenklich und schaute zum Fenster hinaus. Dann wandte er sich wieder mir zu und fragte: »Und während deines Aufenthaltes auf dem Meer, bist du da auch Meerestieren mit Flügeln begegnet?«
»In der Tat, Hoher Gebieter. Sie sind in Schwärmen um mich herum geflogen. Zuerst habe ich sie für riesige Meeresinsekten gehalten. Doch einer von ihnen ist in meinem Einbaum gelandet, und ich habe mich seiner bemächtigt und ihn verzehrt. Es war ganz unzweifelhaft ein Fisch, aber genauso unzweifelhaft besaß er Flügel, mit denen er flog.«
Motecuzómas starre Haltung entkrampfte sich ein wenig; offensichtlich war er erleichtert. »Nichts weiter als Fische«, murmelte er. »Sollen die Dummköpfe von Maya doch zur Mictlan fahren! Sie könnten mit ihrem zügellosen Gerede die ganze Bevölkerung in Schrecken versetzen. Ich werde dafür sorgen, daß die Wahrheit augenblicklich überall kundgemacht wird. Ich danke dir, Ritter Mixtli. Deine Erklärungen haben einen sehr guten Zweck erfüllt. Du verdienst eine Belohnung. Sei es diese: Ich lade dich und deine Familie ein, zu den wenigen Auserwählten zu gehören, welche nächsten Mond zusammen mit mir die Huixáchi-Hügel hinaufsteigen werden, um dort die Neufeuer-Zeremonie zu feiern.«
»Es wird mir eine Ehre sein, Hoher Gebieter«, sagte ich, und das war ehrlich gemeint. Die Entzündung des Neuen Feuers erlebte ein Mensch im allgemeinen nur einmal im Leben, und der Durchschnittsbürger konnte die Zeremonie niemals ganz aus der Nähe mitansehen, denn auf dem Huixáchi-Hügel konnten neben den ihres Amtes waltenden Priestern nur vergleichsweise wenige Zuschauer Platz finden.
»Fische«, wiederholte Motecuzóma. »Doch du hast sie weit draußen auf dem Meer gesehen. Wenn sie nun aber zum erstenmal so nahe ans Ufer herangekommen sind, daß die Maya sie haben sehen können, könnte das trotzdem etwas zu bedeuten haben …«
Ich brauche auf das auf der Hand Liegende nicht besonders hinzuweisen, ehrwürdige Patres; ich kann nur erröten, wenn ich daran denke, zu welch einem übereilten Urteil ich mich habe hinreißen lassen. Bei dem, was die
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