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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Maya an der Küste erblickt hatten – und was ich töricht als Riesenfisch und Geflügelten Fisch abtat – hat es sich selbstverständlich um seegängige spanische Segelschiffe gehandelt. Heute, wo ich mir darüber im klaren bin, in welcher Reihenfolge sich die Ereignisse vor langer Zeit abspielten, weiß ich, daß es sich nur um die beiden Schiffe eurer Forschungsreisenden de Solis und Pinzón gehandelt haben kann, welche zwar die Küste von Uluümil Kutz erkundeten, dort jedoch nicht an Land gingen.
    Ich irrte mich, und es war in der Tat ein bedeutungsschwangeres Zeichen.
    Diese Unterredung mit Motecuzóma fand gegen Ende des Jahres statt, als die Nemontémtin näherkamen, die Hohlen Tage. Und ich wiederhole, daß es im Jahre Eins Kaninchen war – nach eurer Zeitrechnung das Jahr eintausendfünfhundertundsechs.
    Wie ich bereits berichtet habe, lebten wir während der namenlosen leeren Tage am Ende eines jeden Sonnenjahres in der Furcht, daß die Götter uns mit irgendeinem Unheil heimsuchen würden, doch niemals lebte unser Volk in so krankhafter Angst wie damals. Denn das Jahr Eins Kaninchen war das letzte eines Xiumolpili oder eines aus zweiundfünfzig Jahren bestehenden Schocks Jahre, bei welchem uns Furcht vor dem schlimmsten Unheil überhaupt packte: der Vernichtung der gesamten Menschheit. Unseren Priestern, unseren Glaubensvorstellungen und Traditionen zufolge hatten die Götter bereits vier Male zuvor alle Menschen auf der Erde vernichtet und konnten es wieder tun, wenn ihnen der Sinn danach stand. Wir gingen mit der größten Selbstverständlichkeit davon aus, daß die Götter – falls sie beschlossen, uns auszurotten – dafür einen passenden Zeitpunkt wählen würden wie etwa eben jene letzten Tage des letzten Jahres, welches ein Schock Jahre zusammenband.
    Infolgedessen war es während der fünf Tage zwischen dem Ende des Jahres Eins Kaninchen und dem Beginn seines Nachfolgers, Zwei Rohr – vorausgesetzt Zwei Rohr traf ein und wir erlebten es –, ebensosehr Furcht wie religiöser Gehorsam, welcher die meisten Menschen veranlaßte, sich auf die bewährte Weise kleinlaut und unauffällig zu verhalten. Die Menschen gingen zumeist buchstäblich auf Zehenspitzen. Jeder ungebührliche Laut verstummte, Lachen war verboten, und die Menschen sprachen nur im Flüsterton miteinander. Bellende Hunde, kollernde Truthähne und schreiende Babys wurden soweit wie möglich zum Schweigen gebracht. Sämtliche Herdfeuer und Lampen wurden gelöscht wie in den leeren Tagen am Ende eines gewöhnlichen Sonnenjahres auch, doch diesmal wurden auch noch sämtliche anderen Feuer gelöscht, selbst die in den Tempeln, auf den Altären und in den Urnen, die vor den Standbildern der Götter brannten. Selbst das Feuer auf der Spitze des Huixachi-Hügels, das die letzten zweiundfünfzig Jahre hindurch ständig unterhalten worden war – selbst dieses wurde ausgemacht. Im ganzen gesamten Land war in diesen fünf Nächten nirgends ein Lichtschimmer zu sehen.
    Jede Familie, ob von Adel oder geringer Geburt, zerbrach sämtliches Tongeschirr zum Kochen, zum Aufbewahren von Speisen und zum Essen; die Metlatin-Steine zum Maismahlen und andere Gerätschaften aus Stein, Kupfer oder gar kostbarerem Metall wurden vergraben oder in den See geworfen; verbrannt wurden hölzerne Löffel und Teller, Schneebesen zum Schaumigrühren der Schokolade und anderes Gerät dieser Art.
    Gekocht wurde in diesen fünf Tagen ohnehin nicht, man aß nur karg und benutzte als Teller Abschnitte der Schwarzgrünen Agave und aß mit den Fingern den kalten gebackenen Camótin, festgewordenen Atóli-Brei, oder was man sonst im Voraus an Speisen bereitet hatte. Es wurde weder gereist noch Handel getrieben oder irgendwelche anderen Geschäfte getätigt, man kam nicht gesellig zusammen, trug keinen Schmuck und keine Federn, sondern nur die einfachsten Kleidungsstücke. Kein Mensch – vom Uey-Tlatoáni bis herunter zum niedrigsten Tlacotli-Sklaven – tat etwas anderes als warten und sich während des Wartens so unauffällig wie nur irgend möglich zu verhalten.
    Wiewohl während dieser düsteren Tage nichts Bemerkenswertes geschah, wurde unsere Angst und wurden unsere Befürchtungen verständlicherweise immer größer und erreichten ihren Höhepunkt, als Tonatíu sich am Abend des fünften Tages zur Ruhe begab. Wir konnten uns nur eine Frage stellen: würde er am nächsten Tage wieder aufstehen und einen weiteren Tag, ein weiteres Jahr, ein weiteres Schock Jahre

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