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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Haus- und Kirchenwände wurde gesprüht: »Rache für Holger Meins.«
    Er selbst hatte, lange vor Beginn des Hungerstreiks, in sein Testament geschrieben: »Für den Fall, daß ich in der Haft vom Leben in den Tod komme, war’s Mord. Gleich was die Schweine behaupten werden … Glaubt den Lügen der Mörder nicht.«
     
    In den Unterstützerkreisen war es kein Geheimnis, daß die Gefangenen den Hungerstreik bis zum bitteren Ende durchführen wollten. Ein Ende aber, das die Stammheimer weniger für sich selbst als für andere vorgesehen hatten. Es wurde eine regelrechte Rangfolge festgelegt, wessen Leben als erstes, wessen als zweites und wessen als drittes aufs Spiel gesetzt werden sollte. Das war ohne weiteres steuerbar, denn jene, die noch nicht sofort dran waren mit dem Sterben, konnten heimlich essen. Peter-Jürgen Boock konnte es später kaum noch fassen, daß niemand in den Unterstützergruppen daran Anstoß nahm und daß man diese zynische Todesliste einfach akzeptierte. Damit war auch klar, daß die »Leader« überleben mußten. Lediglich Jan-Carl Raspe hielt sich konsequent an den Hungerstreik, hielt bis zu Ende durch und überlebte dennoch. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und auch Ulrike Meinhof aßen heimlich – in vorher abgemachter Reihenfolge.

15. Ein Richter wird ermordet
    Am 10 . November 1974 , einem Sonntag, wurde gegen 20 . 50 Uhr an der Wohnungstür des Hauses Bayernallee 10 – 11 im Berliner Stadtteil Neu-Westend geklingelt. Über die Türsprechanlage sagte ein Mann, er komme von der Firma Fleurop und wolle Blumen bringen. Er wurde eingelassen; in den vergangenen Tagen waren mehrmals Blumenboten gekommen, denn der Hausherr hatte tags zuvor seinen 64 . Geburtstag gefeiert. Günter von Drenkmann, Präsident des Kammergerichts, höchster Richter Berlins, blickte durch den Spion seiner Tür. Als er den Blumenboten sah, öffnete er einen Spaltbreit. Vorsichtshalber hatte er die Sicherungskette vorgelegt. Doch die Gruppe junger Leute, die plötzlich aus dem Treppenhaus auftauchte, drückte die Wohnungstür auf. Es kam zu einem kurzen Handgemenge. Plötzlich fielen drei Schüsse. Zwei davon trafen den Richter. Blutend brach Günter von Drenkmann zusammen.
    Die Täter jagten mit einem Peugeot und einem Mercedes in verschiedene Richtungen davon. Die Frau des Richters alarmierte die Polizei. Wenige Minuten später wurde er in ein nahegelegenes Krankenhaus gebracht. Dort starb er.
     
    Günter von Drenkmann war von Amts wegen nie mit dem Baader-Meinhof-Komplex befaßt. Er hatte nie über die Haftbedingungen von RAF -Mitgliedern zu entscheiden, nie über Anwaltsbeschwerden, hatte nie ein »Terroristen-Urteil« gefällt. Günter von Drenkmann war Zivilrichter gewesen, ein liberaler Jurist und SPD -Mitglied. Später stellte sich heraus, daß es ein Kommando der »Bewegung 2 . Juni« war, das den Richter – offenbar bei dem Versuch, ihn zu entführen – erschossen hatte.
    Till Meyer, Mitglied der »Bewegung 2 . Juni«, später: »Der Mann wurde eben erschossen, anstatt ihn zu kidnappen. Insoweit war das auch als Druckmittel dann weg. Aber es war eben der höchste Richter Berlins. Und ich weiß noch, im Olympiastadion haben sie dann beim Hertha-Spiel ›Drenkmann–Meins, eins zu eins‹ skandiert. Also es war ’n Vergeltungsschlag.«
     
    Gemeinsam formulierten die Gefangenen in Stammheim eine Erklärung zur »Hinrichtung« Günter von Drenkmanns: »Wir weinen dem toten Drenkmann keine Träne nach. Wir freuen uns über eine solche Hinrichtung. Diese Aktion war notwendig, weil sie jedem Justiz- und Bullenschwein klargemacht hat, daß auch er – und zwar heute schon – zur Verantwortung gezogen werden kann.«
    Zur öffentlichen Empörung linker und liberaler Kreise über den Drenkmann-Mord hieß es weiter: »… die Bölls, für die der Tod eines Schreibtischtäters schwerer wiegt als der Tod eines Revolutionärs. Was hat Böll eigentlich mit seiner ›Katharina Blum‹ gemeint, wenn nicht, daß die Erschießung eines Vertreters des herrschenden Gewaltapparates moralisch gerechtfertigt ist. Wenn aus ›literarischer Gewalt‹ materielle Gewalt wird, schlägt sich derselbe Böll auf die Seite derer, deren Wort er eben noch als verlogen gegeißelt hat …«

16. Ein Vernehmungsversuch
    Die Vollzugsbeamten in der Haftanstalt Zweibrücken hatten sofort ans Landeskriminalamt gemeldet, daß Manfred Grashof wieder Nahrung zu sich nahm. Das LKA schickte daraufhin ein Fernschreiben ans BKA , in dem es

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