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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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auf der Liege angeschnallt, damit ihr Körper wenigstens einen Teil der Nährstoffe verdauen konnte.
    Am meisten litt Gudrun Ensslin unter der Zwangsernährung, erinnerte sich der Vollzugsbeamte Bubeck. Und er litt mit. »Jedesmal, wenn ihr der Klarsichtschlauch aus der Nase gezogen wurde, war er rot von Blut.« Bubeck meinte, die »brennenden Wund- und Schabestellen in ihrem Schlund, ihrem Rachen in seinem eigenen Hals zu spüren«. Er ging zu Gudrun Ensslin in die Zelle und sagte: »Bitte geben Sie Ihren Widerstand auf. Sie werden immer den kürzeren ziehen. Auch ist niemand von der Presse da, der Ihnen zusieht. Wenn Sie symbolischen Widerstand leisten, nehmen wir es mit dem gleichen Respekt zur Kenntnis, das verspreche ich Ihnen. Können wir uns darauf einigen?«
    Gudrun Ensslin antwortete nicht. Aber Bubeck hatte den Eindruck, daß sie daraufhin die Zwangsernährung ohne Aufbäumen und Kopfrucken über sich ergehen ließ. Das Beschimpfen der Vollzugsbeamten ging aber weiter.
     
    Zu Beginn eines Hungerstreiks händigten die Gefangenen dem Vollzugspersonal alle Lebensmittel aus, die sie in ihren Zellen hatten. Kekse, Schokoladen und Suppenwürfel wurden in Kartons verpackt und in der »Freßzelle« unerreichbar deponiert. Bei den regelmäßigen Zellenkontrollen fanden sich aber meistens zurückgehaltene und zwischen Büchern versteckte Nahrungsmittel. Je häufiger im Laufe der Jahre aber Hungerstreiks durchgeführt wurden, desto mehr nutzte sich diese »Waffe gegen den eigenen Körper« ab. Die Öffentlichkeit nahm sie kaum noch zur Kenntnis, und die Gefangenen aßen mehr und mehr heimlich. Einmal entdeckte Bubeck bei einem Verteidiger ein Dutzend Schinkenbrote. Als er den Anwalt darauf ansprach, erklärte dieser, er leide an Unterzuckerung und müsse deshalb selber häufig essen. Buback lächelte ihn an: »Es ist aber nicht sehr taktvoll, wenn Sie dem im Hungerstreik befindlichen Herrn Baader etwas voressen.«
     
    Die Justizminister der Länder versicherten, es gebe nicht den geringsten Grund für den Hungerstreik. Das Wort von der »Isolationshaft« oder gar »Isolationsfolter« sei ein politischer Kampfbegriff ohne realen Hintergrund. Die Inhaftierten hätten in der Regel Radio, Briefkontakt, Anwaltsbesuche und zuweilen sogar gemeinsamen Umschluß mit anderen Gefangenen. Die Abschottung vom übrigen Anstaltsbetrieb sei aus Sicherheitsgründen notwendig. Untersuchungshaft sei generell Einzelhaft.
    Das war zwar richtig, aber die Untersuchungshaft der RAF -Mitglieder dauerte bereits wesentlich länger als bei anderen Beschuldigten. Radio, Bücher, Zeitschriften und Anwaltsbesuche waren bei so lange andauernder Einzelhaft nur spärlicher Ersatz für zwischenmenschliche Kontakte, wie sie in jeder Anstalt sonst möglich sind.
    Die Haftbedingungen in den verschiedenen Gefängnissen waren unterschiedlich, wechselten auch von Zeit zu Zeit, je nach Verhalten der Gefangenen oder nach den »Erfordernissen der Sicherheitslage«.
    Der stellvertretende Stammheimer Anstaltsleiter Schreitmüller: »Zunächst gab es vielleicht eine oder anderthalb Stunden Umschluß am Tag. Und das hat sich dann langsam gesteigert. Bis es am Schluß acht Stunden waren. Und zwar Männer und Frauen, das gab’s in keiner anderen Vollzugsanstalt damals. Und wohl jetzt auch nicht«.
     
    Ende Oktober 1974 brach Manfred Grashof den Hungerstreik ab, nahm ihn aber nach wenigen Tagen wieder auf. In dieser Situation schrieb ihm Holger Meins, selbst dem Hungertod nahe, einen Brief:
    »Du machst nicht mehr weiter mit, bringst Dich in Sicherheit, gibst den Schweinen damit einen Sieg, heißt: lieferst uns aus, bist Du das Schwein, das spaltet und einkreist, um selbst zu überleben. Dann – also wenn Du nicht weiter mithungerst – sagste besser, ehrlicher (wenn Du noch weißt, was das ist: Ehre): ›Wie gesagt: ich lebe. Nieder mit der RAF . Sieg dem Schweinesystem‹ –
    Entweder Schwein oder Mensch
    Entweder Überleben um jeden Preis
    oder Kampf bis zum Tod
    Entweder Problem oder Lösung
    Dazwischen gibt es nichts.
    Ziemlich traurig, Dir so was noch mal schreiben zu müssen. Weiß natürlich auch nicht, wie das ist, wenn man stirbt oder wenn sie einen killen. Woher auch? In einem Augenblick der Wahrheit da morgens ist mir als erstes durch den Kopf geschossen:
    Ach soo ist das (wußte ich ja auch noch nicht) und dann (vor dem Lauf, genau zwischen die Augen gezielt): Na egal, das war’s. Jedenfalls auf der richtigen Seite.
    Du müßtest da eigentlich

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