Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
auch was wissen. Na ja. Es stirbt allerdings ein jeder. Frage ist nur, wie und wie Du gelebt hast, und die Sache ist ja ganz klar: Kämpfend gegen die Schweine als Mensch für die Befreiung des Menschen: Revolutionär, im Kampf – bei aller Liebe zum Leben: den Tod verachtend. Das ist für mich: dem Volke dienen – RAF .«
Gudrun Ensslin erhielt eine Kopie dieses Briefes und schrieb an Holger Meins:
»Hör doch uff, dem Typen in den Soldaten-Arsch zu blasen – wozu? Was hast Du, was hat die Guerilla davon? Jedenfalls ist das nicht der totale Krieg, sondern die totale Defensive.
Würd ich einfach mal lassen. ›Ziemlich traurig …‹ Ohne zu trauern. Das – das Ziel. Du bestimmst, wann Du stirbst. Freiheit oder Tod.«
Drei Tage nachdem Gudrun Ensslin dies geschrieben hatte, starb Holger Meins.
14. Der Tod des Holger Meins
Nach fast zwei Monaten Hungerstreik war Holger Meins bis zum Skelett abgemagert. Bei 183 Zentimetern Körpergröße wog er noch 39 Kilogramm. Am Freitag, dem 9 . November 1974 , hatte er seine Anwälte benachrichtigt: »Bitte schickt jemanden! Macht’s schnell. Ich komm nicht mehr vom Bett hoch.«
Samstagvormittag fuhr sein Verteidiger Siegfried Haag nach Wittlich. Niemand wollte ihn in die Anstalt lassen. Meins sei bettlägerig, und in der Zelle sei aus Sicherheitsgründen kein Anwaltsbesuch erlaubt.
Haag rief seinen Kollegen Croissant an, der den Vorsitzenden Richter des Zweiten Strafsenates Stuttgart, Dr. Theodor Prinzing, informierte: »Der Zustand von Meins ist kritisch. Ordnen Sie an, daß ihn ein Arzt seines Vertrauens besuchen kann! Und lassen Sie meinen Kollegen Haag in die Haftanstalt.«
Als Richter im anstehenden Stammheimer BM -Prozeß war Prinzing für die Haftbedingungen der Angeklagten zuständig. Er genehmigte den Besuch Haags im Gefängnis, lehnte aber die Hinzuziehung eines externen Arztes ab.
Zwei Beamte der Strafanstalt brachten Holger Meins auf einer Liege in ein Zimmer des Verwaltungstraktes. Er hatte die Augen halb geschlossen. Sein Verteidiger Siegfried Haag beugte sich über ihn. »Ich bin fertig. Es ist aus. Ich sterbe«, flüsterte Holger Meins.
Der Anwalt hatte genug gesehen. »Als ich ihn da auf der Bahre liegen sah, wußte ich, was die Stunde geschlagen hatte«, berichtete Haag später. »Ich hab mein Ohr an seinem Mund gehabt, nur so konnte ich ihn verstehen. Manches Mal hat er sich unter Aufbietung aller Kräfte einen einigermaßen laut gesprochenen Satz abringen können. Der Besuch dauerte zwei Stunden, zwei Stunden auch deshalb, weil mir klar geworden ist, daß das sein letztes Gespräch war und daß er das wußte.«
Am Ende bat Holger Meins seinen Anwalt um eine Zigarette. Haag zündete sie an und steckte sie Holger Meins zwischen die Lippen. Um 15 . 00 Uhr verließ der Verteidiger die Anstalt und rief Klaus Croissant an. Am Telefon formulierte er einen Brief an Prinzing: »… Holger Meins stirbt. In höchstens zwei Tagen wird er tot sein. Sie sind für seinen Tod verantwortlich, denn die Bedingungen der Haft bestimmen Sie.«
Mit diesem Schreiben fuhren Croissant und seine Kollegin Marielouise Becker nach Untertürkheim zu Richter Prinzing. Es war 18 . 00 Uhr. Der Senatsvorsitzende nahm den Brief am Gartentor entgegen.
Kurz nachdem Siegfried Haag die Anstalt verlassen hatte, war auch den Beamten der bedrohliche Zustand des Gefangenen aufgefallen. Sie riefen einen Arzt aus Wittlich zu Hilfe. Als er um 17 . 15 Uhr eintraf, war Holger Meins tot.
Der Anstaltsarzt und der Wittlicher Gefängnisleiter, die laut ausdrücklicher Anweisung das Ministerium hätten informieren und den Stuttgarter Strafsenat um eine Überführung von Holger Meins in die Intensivstation eines Krankenhauses ersuchen müssen, waren untätig geblieben. Der Arzt war ins verlängerte Wochenende gefahren. Einen Vertreter gab es nicht.
Als die Nachricht vom Hungertod Holger Meins’ im Rundfunk verbreitet wurde, formierten sich in Frankfurt, Köln, Hamburg, Berlin und Stuttgart Protestzüge von jeweils einigen hundert Demonstranten. In Stuttgart-Untertürkheim zogen sie vor das Haus des Richters Prinzing.
Journalisten gegenüber erklärte der Vorsitzende des Strafsenats, er habe alles zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit von Holger Meins getan. Inwieweit jedoch in der Strafanstalt Wittlich von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht worden sei, könne er nicht beurteilen.
Für die Sympathisantenszene war klar: Holger Meins war ermordet worden. An
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