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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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hallte es über den Friedhof. Und als der Pastor das Christus-Wort ›Vater, vergib ihnen‹ sagte, schrie jemand: ›Den Schweinen vergeben wir nie‹ …«
    Neben dem Artikel ein Foto von Rudi Dutschke – mit der Bildunterschrift: »Baskenmütze in der Linken, die rechte Hand zur Faust geballt. Er ruft: ›Holger, der Kampf geht weiter!‹«
    Es schien, als hätte Rudi Dutschke den Kampf der »Rote Armee Fraktion« ideologisch unterstützt. Das paßte sowohl den rechten Medien als auch der RAF -Sympathisantenszene ins Konzept. Rudi Dutschke erklärte in einem Leserbrief an den »Spiegel«, wie er den Satz gemeint hatte:
    »Holger, der Kampf geht weiter, das heißt für mich, daß der Kampf der Ausgebeuteten und Beleidigten um die soziale Befreiung die alleinige Grundlage unseres politischen Handelns als revolutionäre Sozialisten und Kommunisten ausmacht.
    Der politische Kampf gegen die Isolationshaft hat einen klaren Sinn, darum unsere Solidarität. Die Ermordung eines antifaschistischen und sozialdemokratischen Kammer-Präsidenten ist aber als Mord in der reaktionären deutschen Tradition zu begreifen.«
     
    Rudi Dutschke lehnte den individuellen Terror ab. Und doch waren die Mitglieder der RAF für ihn immer noch »Genossen«. Manche von ihnen hatte er gut gekannt, aus Berlin, aus der Zeit der Studentenbewegung. Holger Meins etwa, der die Kamera zur politischen Waffe machen wollte, der einen Lehrfilm über die Herstellung von Molotowcocktails gedreht hatte und dann noch weiter ging, viel weiter, und am Ende ausgemergelt, mit überwucherndem Bart und spindeldürren Fingern auf dem Totenbett lag. Und Jan-Carl Raspe, der 1967 im SDS -Vorstand gearbeitet und sich in der »Kommune  II « Gedanken über die Revolutionierung des bürgerlichen Individuums gemacht hatte.
    Rudi Dutschke wußte auch, welche Verletzungen manche von ihnen davongetragen hatten, andere Verletzungen als seine eigene Schußverletzung, aber dennoch traumatisch genug. Er wußte auch, daß Josef Bachmanns Schüsse auf ihn, genauso wie der Tod Benno Ohnesorgs, nicht wenige auf den Weg der Gewalt gebracht hatten.
     
    Kurz nach Holger Meins’ Beerdigung besuchte Rudi Dutschke Jan-Carl Raspe. Er hatte seinen Sohn Hosea-Che und dessen Freund mitgenommen. »Wollte dem Jan Raspe andere, ganz andere Gesichter zeigen«, schrieb er in sein Tagebuch. »Sie kamen mit ins Gefängnis hinein, aber nicht mit ran zu Jan Raspe. ›Ohne gebilligten Antrag kommen hier auch keine Kinder durch, Herr Dr. Dutschke. Und was soll so ein Besuch?‹«
    Später schrieb Rudi Dutschke in einem Brief an das Ehepaar Gollwitzer: »Subjektiv sich als antiimperialistische Revolutionäre fühlen schließt nicht aus, eine verhängnisvolle Rolle zu spielen. Die Gruppe will das bisher wohl noch immer nicht glauben, gerade das aber scheint mir ein besonderes Zeichen der Auswirkungen von Isolationshaft zu sein. Bei Jan Raspe hatte ich den Eindruck, daß er diese Gefahrenquelle richtig durchschaute, sein ›Begierig-Sein‹ nach Information über die gesellschaftliche Wirklichkeit außerhalb des Gefängnisses war dafür ein Ausdruck. Aber die Gruppenzwänge scheinen da, trotz Isolationshaft bzw. gerade darum, ihre Eigendynamik zu haben. Die Resultate einer falschen Konzeption, einer Isolationshaft im Gefängnis u. a. treiben einen Selbstzerstörungsprozeß voran. Den zu durchbrechen sehe ich zur Zeit keine Chance.«
     
    Der Besuch Rudi Dutschkes bei einem gefangenen Mitglied der ersten RAF -Generation blieb die Ausnahme. Die politischen Weggefährten der APO -Jahre engagierten sich zuweilen bei Protesten gegen die Haftbedingungen, Versuche aber, zum Beispiel Ulrike Meinhof oder Gudrun Ensslin in einen Prozeß der politischen Auseinandersetzung mit der »legalen Linken« zu verwickeln, blieben aus.
     
    Inzwischen formierten sich außerhalb der Haftanstalten neue Gruppen. Sie entstanden zumeist aus den »Folterkomitees«, Initiativen oft ganz junger Leute, die Baader und Ensslin nie in ihrem Leben kennengelernt hatten, aber empört über die tatsächliche oder vermeintliche Unmenschlichkeit der Haftbedingungen den Weg in die Illegalität antraten. Zu keiner Zeit des »Untergrundkampfes« besaß die RAF eine so magnetische Anziehungskraft wie aus der Haft heraus.
    Erst im Gefängnis entwickelte die Gruppe eine politische Präsenz, die sie vorher nie gehabt hatte. Die überdimensionalen Sicherheitsvorkehrungen verliehen den Gefangenen den Rahmen politischer Bedeutung, den sie mit

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