Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
den wir gewonnen haben, ’ne bewaffnete Befreiungsaktion, das Beispiel.
An Andreas, über das, was er ist, konnten wir uns bestimmen, weil er das alte (erpreßbar, korrupt usw.) nicht mehr war, sondern das neue: klar, stark, unversöhnlich, entschlossen …
Weil er sich über die Ziele bestimmt …«
13. Entweder Schwein oder Mensch
Am 2 . Oktober 1974 erhob der Generalbundesanwalt offiziell Anklage gegen die fünf Kernmitglieder der Gruppe, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Holger Meins und Jan-Carl Raspe. Der Prozeß sollte im folgenden Jahr beginnen, Prozeßort Stammheim sein. Fünf Morde wurden den Angeklagten vorgeworfen. Die Verfahrensakten umfaßten zunächst 170 Bände, rund tausend Zeugen und siebzig Sachverständige sollten gehört werden.
Anfang November 1974 wurden Andreas Baader und Jan-Carl Raspe im Hubschrauber nach Stammheim geflogen. Scharfschützen waren auf dem Dach der Anstalt postiert. Mit großem Gefolge schwerbewaffneter Polizei schritt Baader vom Helikopter zum Gefangenentransportwagen, mit dem er vom Landeplatz zur Anstalt gefahren wurde. Beide Männer waren während des Hungerstreiks stark abgemagert. Holger Meins, der ursprünglich mit nach Stammheim verlegt werden sollte, blieb in Wittlich, denn seine Gesundheit war durch den Hungerstreik schwer angegriffen; er war nicht transportfähig.
Mit dem Hungerstreik hatten sie die Verlegung nach Stammheim zu Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof bewirken wollen. Jetzt war diese Verlegung von dem für die Haftbedingungen zuständigen Gericht plötzlich angeordnet worden.
Der Stammheimer Vollzugsbeamte Bubeck hatte den Eindruck, Baader hoffte geradezu auf die Zwangsernährung. Er war bis auf die Knochen abgemagert. »Todesfurcht weitete ihm die Augen. Für den Vollzug und seine emsigen Versuche, ihm den Tagesablauf im siebten Stock zu erklären, hatte er kein Ohr. Er wandte sich allein Dr. Henck zu, dem Arzt, und schien erst beruhigt, als dieser ihm ankündigte, daß er gleich am nächsten Vormittag mit der Prozedur beginne.«
Entsprechend den Vorschriften mußten die Stammheimer Vollzugsbeamten die Gefangenen jeweils fragen, ob sie sich freiwillig der künstlichen Ernährung unterziehen wollten. Waren sie, was selten vorkam, bereit, so konnten sie auf einem Stuhl im Vorraum Platz nehmen und sich füttern lassen. Meistens jedoch lautete die Antwort: »Nein.« Dann wurden die Gefangen von Beamten aus den Zellen geführt und draußen auf eine fahrbare Liege gelegt. Arme und Beine wurden mit Klettverschlüssen fixiert. Sanitätsbeamte drückten Kopf und Oberkörper nach unten, und Anstaltsarzt Dr. Henck führte die Sonde in die Nase, durch die Speiseröhre bis in den Magen. Mit einem Stethoskop kontrollierte er, ob die Sonde angekommen war. Dann rührte er in einer Schüssel die Zutaten für den dünnen Brei zusammen, darunter jeweils Eier und Traubenzucker. Ein Sanitätsbeamter zog die vanillefarbene Brühe in eine Spritze und drückte sie durch den Schlauch in den Magen. Nach Bubecks Erinnerungen schrien die Gefangenen dabei häufig: »Schweine! Mörder! Folterknechte!«
Die Anwälte Otto Schily und Klaus Croissant erstatteten Strafanzeige gegen die für die Zwangsernährung verantwortlichen Anstaltsärzte und erklärten auf einer Pressekonferenz, Zwangsernährung sei »bewußt Quälerei und sadistische Folter«.
Tatsächlich war allen Beteiligten bewußt, daß die Zwangsernährung eine unmenschliche Tortur war. Holger Meins notierte nach einer Behandlung:
»Festschnallen, zwei Handschellen um die Fußgelenke, ein dreißig Zentimeter breiter Riemen um die Hüfte, linker Arm mit vier Riemen vom Handgelenk bis zum Ellenbogen … von rechts der Arzt auf’n Hocker mit ’nem kleinen ›Brecheisen‹. Damit geht er zwischen die Lippen, die gleichzeitig mit den Fingern auseinandergezogen werden, und dann zwischen die Zähne und hebelt die auseinander.
Sowie die Kiefer weit genug auseinander sind, klemmt, schiebt, drückt der Sani von links die Maulsperre zwischen die Zähne … Verwendet wird ein roter Magenschlauch, mittelfingerdick …«
Pro Mahlzeit waren jeweils zehn Füllungen nötig. Zweimal am Tag wurden die Gefangenen dieser Prozedur unterzogen. Ulrike Meinhof steckte sich, so Kurt Oesterle in seiner Bubeck-Biographie »Stammheim«, zu Beginn der Zwangsernährung sofort danach einen Finger in den Hals, um die Nährlösung wieder zu erbrechen. Daraufhin ließ man sie nach der Zwangsernährung noch eine Stunde lang
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