Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Trockenrudergerät und ein Fahrradergometer, durften täglich benutzt werden. Auf Anordnung des Anstaltsarztes blieb der elektrische Strom auch nachts angeschaltet – wohl damit sie ihre Plattenspieler benutzen konnten. Glühbirnen und Leuchtstoffröhren mußten sie dagegen abends abgeben.
11. Die Grundregeln des Terrorismus
( 23 . Tag, 5 . August 1975 )
Während der Vorsitzende Richter immer wieder versuchte, den Prozeß in den Griff zu bekommen, um endlich mit der Vernehmung zur Person beginnen zu können, stellten Angeklagte und Verteidiger einen Ablehnungsantrag nach dem anderen. Sie versuchten, den Prozeß auf eine politische Ebene zu heben, der Öffentlichkeit ihre Motive für den Untergrundkampf zu vermitteln. In ihren Zellen hatten sie Erklärungen vorbereitet, die sie im Prozeß vortrugen, immer wieder unterbrochen vom Vorsitzenden, dem das alles zu weitschweifig war.
Zwei Welten prallten hier aufeinander, die, wenn überhaupt, nur durch die Strafprozeßordnung zusammengehalten wurden.
Andreas Baader versuchte, sich mit der staatsoffiziellen Definition der Stadtguerilla auseinanderzusetzen. Er zitierte den Innenminister von Rheinland-Pfalz, der gesagt hatte: »Die Grundregel des Terrorismus ist, möglichst viele Menschen zu töten. Lähmendes Entsetzen, das ist der Gefühlszustand, den Terroristen offenbar bei immer mehr Menschen in der ganzen Welt herstellen wollen.«
»Ich würde sagen«, meinte Andreas Baader, »das ist die präzise Definition von Israels Politik gegen die palästinensische Befreiungsbewegung, das ist die präzise Definition der Vietnampolitik der USA bis zu ihrer Niederlage. Das ist die präzise Definition der Politik der Junta in Chile, und das ist die präzise Definition der Politik der Bundesanwaltschaft und ihre Grundregel: möglichst viele tote Kämpfer, möglichst viele tote Gefangene, Exekutionen auf offener Straße, der Todesschuß und so weiter. Lähmendes Entsetzen ist in der Tat präzise der Gefühlszustand, den die Bundesanwaltschaft bei immer mehr Menschen herstellen will, wenn sie immer mehr tote Trakts bauen läßt und immer öfter Gefangene in tote Trakts bringt und darin läßt.«
Prinzing verwarnte Baader: »Sie haben Ablehnungsgründe ge gen diese Richter vorzutragen und nicht allgemeine Ausführungen zu machen.«
Baader fuhrt fort: »Was der Generalbundesanwalt Buback macht, ist, exakt definiert, Terrorismus, staatlicher Terrorismus. Also der Terrorist Buback …«
»Herr Baader«, unterbrach ihn der Vorsitzende, »jetzt entziehe ich Ihnen das Wort. Wenn Sie dem Generalbundesanwalt vorwerfen wollen, er betreibe staatlichen Terrorismus, dann geht es über das hinaus, was wir …«
Baader wollte etwas erwidern, aber der Richter drehte ihm das Mikrophon ab.
Ulrike Meinhof meldete sich: »Terrorismus ist die Zerstörung von Versorgungseinrichtungen, also Deichen, Wasserwerken, Krankenhäusern, Kraftwerken. Eben alles das, worauf die amerikanischen Bombenangriffe gegen Nordvietnam seit 1965 systematisch abzielten. Der Terrorismus operiert mit der Angst der Massen. Die Stadtguerilla dagegen trägt die Angst in den Apparat.«
Der Vorsitzende unterbrach Ulrike Meinhof und verwarnte sie: »Ich kann nicht hinnehmen, daß Sie hier eine Begründung abgeben, die keinen Sachzusammenhang erkennen läßt.«
»Schließen Sie uns doch gleich aus«, sagte Andreas Baader, »Sie wollen hier doch jedes Wort verhindern.«
Ulrike Meinhof durfte fortfahren: »Die Aktionen der Stadtguerilla richten sich nie, richten sich nie gegen das Volk. Es sind immer Aktionen gegen den imperialistischen Apparat. Die Stadtguerilla bekämpft den Terrorismus des Staats.«
Der Vorsitzende entzog Ulrike Meinhof das Wort, worauf die Angeklagten aufstanden, ihre Sachen zusammenpackten und aus der Sitzbank drängten. »Bitte nehmen Sie Platz, Sie haben kein Recht, die Hauptverhandlung zu verlassen«, sagte der Vorsitzende.
Im Stehen antwortete Baader: »Sie lassen uns nicht mal die Begründung von Ablehnungsanträgen bringen, das heißt, unsere Anwesenheit ist vollkommen funktionslos. Sie berauben uns wirklich unserer elementarsten letzten Rechte.«
»Du Pfeife, du«, schrie ein Zuhörer dem Vorsitzenden entgegen.
Prinzing drehte Baader das Mikrophon ab, der aber sprach ohne Verstärker weiter: »Sie sind der Herr der Mikrophone, das mag ja sein. Aber der Herr des Verfahrens sind Sie deswegen noch lange nicht.«
Die Angeklagten wurden auf Anweisung des Vorsitzenden aus dem Saal
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