Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Anhänger hatte, und es ist unvorstellbar, daß sie, ohne diesen ein erklärendes Wort zu hinterlassen, aus dem Leben geschieden wäre.«
Im engeren Kreis der RAF -Helfer außerhalb des Gefängnisses gab es trotz aller öffentlichen Erklärungen keinen Zweifel am Selbstmord Ulrike Meinhofs. So hatte Peter-Jürgen Boock Zellenkassiber entschlüsseln müssen, aus denen für ihn das Zerwürfnis der Gefangenen unübersehbar deutlich wurde. In den Auseinandersetzungen zwischen Gudrun und Ulrike habe Baader den »Schiedsrichter« gespielt, sich aber fast immer auf Gudruns Seite gestellt und ihr dadurch in der Gruppe ihre »dominante Stellung« gesichert. Nach Ulrike Meinhofs Tod seien die Betroffenheit und Trauer gespielt gewesen. In den Kassibern hätten sich die Stammheimer Gefangenen anders über ihren Tod geäußert.
Boock konnte sich noch viele Jahre später an eine Stelle in einem der geheimen Zellenzirkulare erinnern, in der es sinngemäß geheißen hatte, Selbstmord sei »das Beste, was sie mit ihrem verkorksten Leben noch machen konnte«. Nach außen hin wurden den »Legalen« Informationen übermittelt, die eine Mordthese belegen sollten. So wurde von einem Gespräch zwischen Gudrun und Ulrike berichtet, bei dem Ulrike noch am Vorabend des Selbstmordes Zukunftspläne geschmiedet haben sollte. Boock später gegenüber der Bundesanwaltschaft: »Damit sollte gegenüber der Außenwelt der Eindruck erweckt werden, Ulrike Meinhof habe nicht aus dem Leben scheiden wollen.«
Boock selbst hatte ein zwiespältiges Verhältnis zum Selbstmord Ulrike Meinhofs. Einerseits waren Gudrun Ensslin und Andreas Baader für ihn »Heilige«. Er idealisierte sie und bewunderte, daß »sie so hart waren, den eigenen Tod oder den eines anderen in Kauf« zu nehmen. »Gleichwohl war ich seinerzeit schon im Zweifel, ob es bei der von mir bewunderten Härte von Andreas und Gudrun gerechtfertigt war, Ulrike Meinhof in den Tod zu treiben.«
20. »Kein Platz für Gedenkreden«
( 109 . Tag, 11 . Mai 1976 )
Am ersten Verhandlungstag nach dem Tod Ulrike Meinhofs herrschte wieder Gedränge vor dem mit Stacheldraht bewehrten Tor der Mehrzweckhalle. Im Schaukasten neben dem Eingang hing die Tagesordnung für diesen 109 . Prozeßtag. Der Name der Angeklagten Ulrike Meinhof war säuberlich durchgestrichen.
»Wir setzen das Verfahren gegen die Angeklagten Baader, Ensslin und Raspe fort«, erklärte der Vorsitzende. »Das Verfahren gegen Frau Meinhof ist infolge ihres Todes beendet; die Verteidigeraufträge sind damit erledigt. Ich darf mich für Ihre Mitwirkung bedanken.«
Die »Zwangsverteidiger« König und Linke standen auf und verließen den Saal. Dr. Prinzing wandte sich an die Zuschauer: »Ich habe eben festgestellt, daß ein Teil der Zuhörer sich nicht erhoben hat. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß Provokationen, die hier im Saal heute stattfinden sollten, die Gefahr in sich bergen, daß Sie die Gelegenheit nicht mehr haben, dieser Sitzung weiter zu folgen.«
Dann verkündete der Vorsitzende, daß Ulrike Meinhofs Wahlverteidiger Oberwinder nunmehr als Verteidiger Baaders zugelassen werde. Unmittelbar darauf wollte Prinzing in der Zeugenvernehmung fortfahren – so, als sei nichts geschehen.
Rechtsanwalt Heldmann ergriff das Wort: »Ich stelle den Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung für zehn Tage. Durch den Tod von Ulrike Meinhof ist auf der Angeklagtenbank und ist in diesem Prozeß eine völlig neue Situation entstanden. Der für jedermann unerwartete Tod Ulrike Meinhofs hat – man kann es so sagen – engste familiäre Bindungen zerrissen, nämlich die dieser vier Gefangenen hier. Ich denke dabei aber auch an weiteres: Ulrike Meinhofs Todesursache ist unklar. Die Gefangenen selbst, die Verteidiger – und nicht nur wir – haben erhebliche Zweifel an der amtlichen Version, Ulrike Meinhof habe sich selbst getötet. Für keinen war auch nur der Anflug eines Signals dafür zu erkennen gewesen. Und das spricht wiederum gegen die amtliche Version der Selbsttötung. Es ist unser – der hier verbliebenen Verteidiger – dringendstes, stärkstes Interesse, Gefahren zu erkennen, die sich etwa aus diesem Ereignis auch für das Leben der noch verbliebenen drei Gefangenen abzeichnen könnten.«
Jan-Carl Raspe erschien im Gerichtssaal.
»Ich habe nicht viel zu sagen«, setzte er an. »Wir glauben, daß Ulrike hingerichtet worden ist. Wir wissen nicht, wie, aber wir wissen, von wem. Und wir können das
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