Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
schrieb sie an den Rand: »Projektion, Paranoia, Schwein«.
Ende April 1976 hörte der Vollzugsbeamte Horst Bubeck aus dem »kurzen Trakt« des siebten Stocks, wo die Gefangenen gerade im Umschluß saßen, schallendes Gelächter. Er schloß die Tür auf und traf auf seinen Kollegen Stoll.
»Guck mal, wie die Meinhof heut aussieht«, sagte Stoll.
Bubeck betrat den Trakt. Alle, bis auf Ulrike Meinhof, bogen sich vor Lachen. Bubeck konnte zuerst nicht erkennen, was der Grund für die plötzliche Heiterkeit war. Ulrike Meinhof stand stumm und gebeugt, mit gesenktem Kopf zwischen ihren lachenden Genossen. Sie trug eine klatschmohnfarbene, leuchtend rote Bluse, die der Beamte noch nie an ihr gesehen hatte. Sonst hatte sie immer ihre abgewetzten Jeans und einen grauschwarzen Pullover getragen. Die rote Bluse war offenbar der Grund für das Gelächter. Bubeck kam ins Grübeln. Später fragte er sich, ob Ulrike Meinhof »durch den roten Farbtupfer signalisieren wollte, daß sie nicht mehr dazugehörte, daß sie sich sozusagen von der Truppe namens RAF entfernt hatte«.
Als Horst Bubeck den »kurzen Trakt« verließ, hörte er noch, wie Ulrike Meinhof nach dem diensthabenden Beamten rief: »Ich will wieder rein.«
Dann verschwand sie in ihrer Zelle.
Bubeck fand, daß Ulrike Meinhof zunehmend verwirrt schien. Beim Sprechen lallte sie, hatte Orientierungsprobleme, konnte sich selbst in ihrer kleinen Zelle nicht mehr zurechtfinden. Manchmal, so hatte er beobachtet, lief sie in irgendeine Ecke und blieb dort stehen. Sie sei zunehmend vereinsamt, kam immer seltener zum Umschluß aus ihrer Zelle und absolvierte ihren Hofgang auf der überdachten und vergitterten Terrasse über dem siebten Stock vorwiegend allein.
Auch der Gefängnispfarrer Peter Rieder merkte, daß Ulrike Meinhof von den übrigen Gruppenmitgliedern geradezu gemobbt wurde: »Ich hab die manchmal im Rudel sitzen sehen dahinten, und haben da herumdiskutiert und ihre Papiere gehabt, und hab mitbekommen, wie der Baader ›Fette Sau‹ oder irgendeinen unflätigen Ausdruck benützt hat zur Frau Meinhof. Also, ich hab nur das Bild vor mir, wie sie wie ’n Schaf wegtrottet und sich nicht gestellt hat oder so was, sondern aufsteht, Kopf senkt und in ihre Zelle verschwindet.«
Ulrike Meinhof hielt die Situation nicht mehr aus. Nicht die jahrelange Isolation, nicht die Konflikte im Innern der Gruppe, wohl auch nicht das Einstehen für eine Politik, an die sie anscheinend nicht mehr wirklich glaubte.
Der stellvertretende Amtsleiter Schreitmüller: »Ich war darüber erschüttert, welch ein offensichtlicher Persönlichkeitswandel bei Ulrike Meinhof vorgekommen ist. Wenn man sie auf Bildern sah, wie sie früher ausgesehen hat, und hat sie nun in der Haft gesehen, wie sie total vernachlässigt war, wie sie sich auch nicht mehr um irgend etwas, um ihr Äußeres gekümmert hat, sie war völlig ungepflegt und war richtig äußerlich ein gebrochener Mensch.«
Der Vorsitzende Richter Prinzing später: »Ich sehe das Bild vor mir, wie sie im Grunde genommen mit einem gewissen Abstand in der Anklagebank zu den anderen saß, keinen Kontakt hatte zu ihnen, nie in irgendwelche Gespräche mit ihnen getreten ist, soweit ich jedenfalls das beobachten konnte, sondern eher einen, na, ich möchte sagen, fast verschüchterten Eindruck gegenüber den anderen machte. Sie war für mich im Prozeß bereits resigniert.«
18. Ende der Gemeinsamkeit
( 106 . Tag, 4 . Mai 1976 )
Die Angeklagten traten zum ersten Mal seit langer Zeit wieder gemeinsam auf. Um 14 . 09 erschienen Baader, Raspe, Ensslin und Meinhof im Prozeßsaal. Für einen Monat, vom 10 . März bis zum 10 . April, war Ulrike Meinhof ausgeschlossen gewesen, danach war sie der Verhandlung freiwillig ferngeblieben.
Die Verteidiger hatten an diesem 4 . Mai 1976 einen ganzen Stapel Beweisanträge mitgebracht, um, wie es die Angeklagten zuvor einmal formuliert hatten, »den Prozeß auf die politischen Füße zu bringen«.
Bevor Schily und seine Kollegen mit der Verlesung der Beweisanträge begannen, verließen Ensslin und Meinhof gemeinsam um 14 . 24 Uhr den Sitzungssaal. Nach einer halben Stunde kam Gudrun Ensslin zurück. Ulrike Meinhof betrat den Verhandlungssaal nie wieder.
Sie hörte nicht, wie ihre Verteidiger beantragten, als Zeugen zu vernehmen: den früheren US -Präsidenten Richard M. Nixon, den früheren Verteidigungsminister der US -Regierung, Melvin Laird, außerdem Willy Brandt, Helmut Schmidt, Ludwig
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