Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
abgelehnt. Kurz vor 11 . 00 Uhr sei die Blechwanne mit der Leiche hastig aus dem Trakt geschoben worden.
Gudrun Ensslin stand auf und verließ den Gerichtssaal.
Otto Schily ergriff das Wort: »In der Öffentlichkeit ist der Name Ulrike Meinhof, jenseits aller Diffamierung, mit einem hohen moralischen Anspruch, man kann auch sagen, mit einer hohen moralischen Rigorosität verbunden. Dieser Umstand könnte einen klaren Bezug zu den zurückliegenden Ereignissen haben.«
Es sei nachdenkenswert, daß der Tod Ulrike Meinhofs gerade zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als die Verteidigung den Versuch gemacht habe, politische Inhalte in das Verfahren einzuführen. Wenn in diesem Zusammenhang in der Öffentlichkeit behauptet werde, es bestehe eine Beziehung zwischen ihrem Tod und der Prozeßerklärung Gudrun Ensslins, in der die RAF die politische Verantwortung für die Anschläge auf militärische Einrichtungen in Frankfurt und Heidelberg übernommen habe, so sei das ein übler propagandistischer Trick.
Andreas Baader meldete sich: »Es fällt mir ziemlich schwer, hier überhaupt noch etwas zu sagen. Ich bin der Ansicht, daß man zu Ihnen, von Ihnen und über Sie nicht mehr reden sollte. Man muß handeln, um tatsächliche, den Antagonismus Staat–Maschine–Mensch, wie er sich ja tatsächlich ausdrückt …«
»Zur Erklärung haben Sie das Wort nicht«, wies ihn der Vorsitzende zurecht.
»Sie wollen verhindern, daß ich hier spreche?«
»Wenn es kein Antrag ist, kann ich Ihnen auch nicht das Wort belassen …«
»Das ist nicht mehr die Ebene«, sagte Baader. »Das ist nicht die Ebene vor diesem Gericht, vor diesem Rattenhaufen, hier Anträge zu stellen.«
»Ihnen ist das Wort jetzt entzogen, wegen Beleidigung des Gerichts, das Sie als Rattenhaufen bezeichnet haben.«
Baader verließ den Verhandlungssaal.
Als nächster sprach der »Zwangsverteidiger« Künzel. Er schloß sich zum ersten Mal einem Antrag der Wahlverteidiger an: »Ein Mensch in größter Unfreiheit macht von der rätselhaftesten, tiefsten menschlichen Freiheit Gebrauch, sich das Leben zu nehmen. Das sollte Anlaß sein, in diesem Rechtsverfahren Terminpläne zurückzustellen, auswärtige Zeugen heimzuschicken, um diesen Sachverhalt aufzuarbeiten. So etwas wie die Pietät im Strafprozeß sollte es unmöglich machen, daß verhandelt wird, so lange, bis die sterblichen Überreste dieses Menschen ihre Ruhe gefunden haben.«
Die Bundesanwaltschaft trat den Anträgen auf Prozeßunterbrechung entgegen. »Weder aus rechtlichen noch aus sonstigen Gründen könnte dem stattgegeben werden«, erklärte Dr. Wunder. »Die Strafprozeßordnung bietet keine Handhabe, beim Tode eines Mitbeschuldigten die Hauptverhandlung förmlich zu unterbrechen.«
Wenn allerdings die Beisetzung Ulrike Meinhofs auf einen Prozeßtag fallen sollte, hätte die Bundesanwaltschaft nichts dagegen, mit der Verhandlung erst am Nachmittag zu beginnen.
Das Gericht zog sich kurz zur Beratung zurück und verkündete dann: »Den Anträgen auf Unterbrechung der Hauptverhandlung wird nicht stattgegeben.«
Einige Zuschauer im Saal protestierten mit Buhrufen. Der Vorsitzende ließ sich die Störer von den Wachbeamten zeigen und wies sie aus dem Saal. Sie gingen freiwillig, aber andere sprangen auf und riefen in Sprechchören: »Prinzing raus«, »Prinzing Mörder« und »Selbstmord ist Lüge«.
Anschließend räumten auch sie freiwillig ihren Platz.
Rechtsanwalt Schily schob seine Akten zusammen und kündigte an: »Die Verteidigung wird an der Verhandlung erst nach der Beerdigung von Ulrike Meinhof wieder teilnehmen.« Dann ging er, begleitet von den anderen Wahlverteidigern.
Nach der Mittagspause setzte der Vorsitzende den Prozeß mit der Vernehmung von Zeugen fort. Jan-Carl Raspe erschien noch einmal für eine Minute im Gerichtssaal.
»Herr Raspe?« fragte Prinzing erstaunt.
»Ja, ich wollte nur noch sagen: Das Spezifische Ihrer Geste und Ihrer Funktion läßt keine andere Möglichkeit, sich zu Ihnen in Beziehung zu setzen, als in einer Ecke mit dem Gewehr wartend.«
»Wollen Sie einen Antrag stellen?« fragte der Vorsitzende. »Nein. Dann können wir in der Sache fortfahren.«
Meldung Stammheim, 13 . Mai 1976 :
»Bei der Schlafmittelausgabe um 22 . 00 Uhr weigerte sich Baader, nach Erhalt der Schlaftablette, diese sofort einzunehmen. Liebenswerterweise bezeichnete er mich als ›altes Arschloch‹.«
21. »Und am Schluß sie selbst«
Am 16 . Mai wurde Ulrike
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