Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Meinhof in Berlin zu Grabe getragen. Über 4000 Menschen folgten ihrem Sarg zum evangelischen Friedhof der Dreifaltigkeitsgemeinde im Westberliner Stadtteil Mariendorf. Viele hatten ihre Gesichter weiß geschminkt, manche hatten sich vermummt. Auf Transparenten stand: »Wir tragen Trauer und Wut, die wir nicht verlieren« und »Ulrike Meinhof, wir werden dich rächen«.
Der Berliner Verleger Klaus Wagenbach sprach am Grab über Ulrike Meinhofs Engagement in der Anti-Atomtod-Kampagne, vom Protest gegen die Große Koalition, vom Vietnamkrieg, der für eine ganze Generation zum Schlüsselerlebnis geworden sei, über die später von ihr selbst als wirkungslos empfundene journalistische Arbeit, schließlich vom Schritt in den Untergrund, auch als Antwort auf die »deutschen Verhältnisse«, in denen alles bereits als extremistisch verurteilt werde, was auch nur Bestehendes in Frage stelle.
Der Theologe Helmut Gollwitzer warf die Frage auf, ob Ulrike Meinhof wohl einen anderen Weg gegangen wäre, wenn sich »mehr Menschen gefunden hätten, bereit, mitzukämpfen für eine menschlichere Gesellschaft«. Er fuhr fort: »Diesen Menschen mit einem schweren Leben, der sich das Leben dadurch schwergemacht hat, daß er das Elend anderer Menschen sich so nahegehen ließ, diesen Menschen mit seinen Hoffnungen und Kämpfen und Depressionen sehe ich jetzt im Frieden der Liebe Gottes. Inmitten des massenweisen Tötens in unserer Welt und des massenweisen Getötetwerdens liegen auf dem Weg, zu dem sie sich entschlossen hat, Menschenleben und am Schluß sie selbst –«
Nach dem Tod Ulrike Meinhofs sollte die Stammheimer Gruppe wieder aufgefüllt werden. Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck begab sich im Auftrag der Justiz mehrmals in den siebten Stock, um dort Vorschläge zu unterbreiten, welche RAF -Frau nach Stammheim verlegt werden sollte. In einem Fall sagte Gudrun Ensslin: »Wenn
die
kommt, heißt das Hungerstreik.« In einem anderen Fall hieß es: »Wenn
die
kommt, habt ihr übermorgen drei Tote.« Baader drohte unverhohlen mit Gudrun Ensslins Selbstmord: »Paßt bloß auf, daß der Gudrun nichts passiert.« Daraufhin verlegte man sie in den Bereich der Männerzellen zwischen Baader und Raspe. Als das auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben wurde, schrieb die »Bild«-Zeitung auf dem Titel: »Ensslin zu Baader auf die Zelle«. Bubeck sagte später: »Unsere Hysterie war so groß, daß wir Frau Ensslin Tag und Nacht überwachten. Dazu ließen wir die Essensklappe in der Zellentür rund um die Uhr offenstehen und setzten eine Beamtin davor.« Die Beamten ließen einen trichterförmigen Sichtschutz aus Blech basteln und an der Außenseite befestigen, damit Gudrun Ensslin die Bewacherin nicht sehen konnte. Doch die Gefangene bemerkte die Dauerüberwachung und schüttete der Beamtin einen Eimer Wasser durch den Trichter über den Kopf. Daraufhin wurde die Aktion abgebrochen. Der Anstaltsarzt nahm Gudrun Ensslin das Versprechen ab, sich nicht umzubringen.
Am Ende einigte man sich darauf, Irmgard Möller nach Stammheim zu verlegen. Kurz darauf folgte Ingrid Schubert, und schließlich, am 3 . Juni 1976 , durfte auch Brigitte Mohnhaupt zu den RAF -Gründern in den Hochsicherheitstrakt. Bubeck und seine Kollegen atmeten auf: »Wir waren froh, endlich Personen gefunden zu haben, mit denen der Kern der RAF sich einverstanden erklärte. Allerdings, Frau Mohnhaupt war bereits Strafhäftling und sollte Anfang 1977 entlassen werden. Die Zeit bis zu ihrer Entlassung verbrachte sie Tag für Tag zusammen mit Baader und den beiden anderen beim Umschluß im siebten Stock – was für eine Überraschung, daß sie nachher zur Cheforganisatorin der Schleyer-Entführung wurde, mit der die Stammheimer Gefangenen freigepreßt werden sollten.«
Die Justiz hatte den RAF -Gründern Baader und Ensslin die Nachfolgerin praktisch zur Schulung in den Hochsicherheitstrakt geschickt.
22. Der Kälberstrick
Manchem Bürger war der Tod Ulrike Meinhofs offenbar nicht genug. Ein Kegelclub schickte zehn Mark an das Stammheimer Gericht, mit dem Stricke für die übrigen Gefangenen gekauft werden sollten. Der Richter ließ das Geld unter »ungeklärte Eingänge« in die Gerichtskasse einzahlen. Der Begleitbrief wurde den Gefangenen ausgehändigt. Und nicht nur anonyme Schreiben fanden ihren Weg in die Zellen des Hochsicherheitstraktes.
Eineinhalb Jahre später, als ein Untersuchungsausschuß die Umstände des Todes von Baader, Ensslin und Raspe untersuchen
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