Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Kalkül der Methode bestimmen. Ich erinnere an Herolds Satz: ›Aktionen gegen die RAF müssen immer so abgewickelt werden, daß Sympathisantenpositionen abgedrängt werden.‹
Und Buback: ›Der Staatsschutz lebt davon, daß sich Leute für ihn engagieren. Leute wie Herold und ich finden immer einen Weg.‹
Es war eine kalt konzipierte Hinrichtung, so, wie Holger hingerichtet worden ist.«
Der Vorsitzende unterbrach ihn: »Herr Raspe, Sie kennen die Einstellung des Gerichts zu diesen Behauptungen. Das Gericht nimmt derart diffamierende Bemerkungen in keinem Falle hin.«
Raspe durfte fortfahren: »Hätte sich Ulrike entschlossen zu sterben, weil sie das als letzte Möglichkeit sah, sich revolutionäre Identität gegen die langsame Zerstörung des Willens in der Agonie der Isolation zu behaupten, hätte sie es uns gesagt, auf jeden Fall Andreas. So war diese Beziehung.«
»Jetzt eine Gedenkrede zu halten, ist hier nicht der Platz«, fuhr ihn Richter Prinzing an. »Sie haben hier nur die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen.«
»Ich habe gesagt, daß ich nicht viel zu sagen habe.«
»Die Frage ist nur, was Sie mit diesen Aussagen bezwecken, Herr Raspe.«
»Ich wäre längst fertig, wenn Sie mich ausreden lassen würden.«
»Sie haben also keine Absicht, einen Antrag zu stellen …«
»Moment«, rief Raspe.
»… dann kann ich Ihnen das Wort auch nicht weiter belassen.«
»Ich schließe mich den Anträgen der Verteidiger an«, stellte der Angeklagte fest.
Der Vorsitzende war zufrieden: »Das hätte schon schnell und rasch gesagt werden können. Jetzt können Sie fortfahren.«
»Es war eine Beziehung, wie sie sich zwischen Geschwistern entwickeln kann, orientiert am politischen Ziel. Aus der Möglichkeit dieser Politik war diese Beziehung Funktion der Politik. Das heißt, darin war sie frei, wie Freiheit nur möglich ist im Kampf um Befreiung. Jetzt Spannungen, Entfremdung zwischen Ulrike und uns zu behaupten, um mit dieser primitiven und dunklen Infamie das Projekt der Hinrichtung Ulrikes der psychologischen Kriegführung verfügbar zu machen, das ist Buback, und das ist Bubacks Dummheit.«
Der Vorsitzende fiel ihm ins Wort: »Die letzte Verwarnung habe ich Ihnen gegeben. Herr Raspe, ich entziehe Ihnen wegen fortgesetzter Beleidigung des Generalbundesanwalts das Wort.«
»Na ja, Ihr Sadismus, Ihre Maßnahmen …«, sagte Raspe, schob seine Unterlagen zusammen und verließ die Anklagebank.
Gudrun Ensslin bat um das Wort. »Sie sind, und das haben Sie ja eben demonstriert, ein Richter, in dessen Zuständigkeit zwei von fünf Gefangenen umgebracht worden sind …«
Der Vorsitzende unterbrach sie: »Erste und letzte Verwarnung.«
»… wenn jetzt einer der drei gegen diese Maschine anspricht, für die Sie hier sitzen und als die Sie in Ihrem Sadismus agieren, unterbrechen Sie ihn und entziehen ihm das Wort …«
»Sie haben kein Recht zur Beanstandung einer Maßnahme, die Herrn Raspe betroffen hat.«
Gudrun Ensslin durfte weitersprechen. Sie verlas ein Protokoll, in dem sie den letzten Tag Ulrike Meinhofs schilderte:
Alle vier Gefangenen seien am Samstag, dem 8 . Mai, vormittags eine und nachmittags eine halbe Stunde zusammengewesen. Sie hätten über das Verhältnis von Identität und Bewußtsein am Beispiel von Gramsci und Lenin gesprochen. Die Stimmung sei gut gewesen, sie hätten auch gemeinsam gelacht. Ulrike habe sich nach dem Einschluß am Nachmittag noch einmal umgezogen und sei nicht zum Hofgang auf das Dach der Anstalt gegangen. Es sei ihr zu heiß gewesen.
Am Abend, gegen 22 . 00 Uhr, hätten die beiden Frauen noch einmal miteinander am Fenster gesprochen. Spät in der Nacht sei sie einmal aufgewacht, weil Ulrike in ihrer Zelle Musik gehört habe.
Am nächsten Morgen, kurz nach dem Aufschluß ihrer Zelle, habe ihr ein Beamter gesagt: »Frau Meinhof ist tot.« Dann sei der Gefängnisarzt gekommen und habe von Selbstmord als Kurzschlußhandlung gesprochen. »Die Gruppe ist zu klein«, habe er gesagt, »in so einer Gruppe muß es notwendigerweise Spannungen geben.« Die Gefangenen hätten das zurückgewiesen. Für jeden sei deutlich gewesen, daß es Ulrike in der letzten Zeit deutlich besser gegangen sei. Daraufhin habe der Arzt gesagt: »Das sind Leute, die zu größter Selbstdisziplin fähig sind. Das ist einmalig. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
Die Gefangenen hätten dann das Gespräch abgebrochen und verlangt, Ulrike noch einmal zu sehen. Die Anstaltsleitung habe das
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