Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
abzuwerfen ist demnach kriminell, sondern dagegen zu protestieren. Nicht die Zerstörung lebenswichtiger Ernten, was für Millionen Hunger und Hungertod bedeutet, ist kriminell, sondern der Protest dagegen.
Es gilt als unfein, mit Pudding und Quark auf Politiker zu zielen, nicht aber, Politiker zu empfangen, die Dörfer ausradieren lassen und Städte bombardieren … Napalm ja, Pudding nein.«
Der Brand im Brüsseler Warenhaus »À l’Innovation« am 22 . Mai 1967 , bei dem mehr als 300 Menschen ums Leben kamen, inspirierte die Kommunarden zu einer neuen, makabren Inszenierung. Sie verfaßten eine Reihe von Flugblättern und verteilten sie an der Freien Universität. Das erste Flugblatt überschrieben sie: »Neue Demonstrationsformen in Brüssel erstmals erprobt«.
Das zweite Flugblatt trug den Titel: »Warum brennst Du, Konsument?«
»Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelt zum ersten Mal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen mußten … So sehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mitempfinden: Wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das rechte Maß nicht überschritten wird, dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlichen Tragik, im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen …«
Im dritten Flugblatt gingen die Kommunarden noch weiter:
»Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?
Bisher krepierten die Amis in Vietnam für Berlin. Uns gefiel es nicht, daß diese armen Schweine ihr Coca-Cola-Blut im vietnamesischen Dschungel verspritzen mußten. Deshalb trottelten wir anfangs mit Schildern durch leere Straßen, warfen ab und zu Eier ans Amerikahaus, und zuletzt hätten wir gern HHH [Hubert Horatio Humphrey] in Pudding sterben sehen.
Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergießen. Ab heute geht er in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an.
Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genausowenig wie bei der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi.
Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben: burn, ware-house, burn!«
Die Berliner Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen sieben Kommunarden. Sie hätten gemeinschaftlich durch Verbreitung von Schriften zur Begehung strafbarer Handlungen aufgefordert, nämlich zum vorsätzlichen Inbrandsetzen von Räumlichkeiten, welche zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dienten, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in denselben sich aufzuhalten pflegten. »Die Aufforderung«, so die Staatsanwaltschaft, »ist bisher ohne Erfolg geblieben.«
Und doch machte der makabre Scherz der Kommunarden in der Berliner Politszene geradezu Karriere. An der Wand des SDS -Zentrums am Kurfürstendamm stand der Spruch »Es brennt, es brennt, ein Kaufhaus brennt …« Davor saß Rudi Dutschke auf einem Tisch und gab ein Fernsehinterview zum Thema Gewalt. Mit seiner heiseren, sonoren Stimme dozierte er: »Wir sind in den Metropolen dazu verpflichtet, wir, die wir ein bißchen Bewußtsein entwickeln dürfen, müssen gegen dieses System, was notwendigerweise zur Katastrophe drängt, müssen gegen das System mit aller Gewalt vorgehen.« Und so, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, fügte er hinzu: »Wir dürfen daher von vornherein nicht auf eigene Gewalt verzichten, denn das würde nur einen Freibrief für die organisierte Gewalt des Systems bedeuten.«
11. »Genossen, wir haben Fehler gemacht«
»Fabelhaft«, sagte die Journalistin Ulrike Marie Meinhof, als sie im Mai 1967 von einer der großen studentischen Protestversammlungen aus Berlin in die Hamburger »konkret«-Redaktion zurückkehrte.
Was die 33 jährige Journalistin begeistert hatte, war das erste studentische »Sit-in«, das einer berühmt gewordenen Rede folgte. Der Schriftsteller Peter Schneider hielt sie am 5 . Mai 1967 im Audimax der Freien Universität
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