Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
weiterzumachen. Vollbusige Mädchen zierten fortan die Titelseiten, im Innenteil mischte Röhl Politik und Kultur mit Sex. Die Auflage stieg in wenigen Monaten von 20 000 auf 100 000 Exemplare.
Ulrike Meinhof schrieb ihre Kolumnen, hatte sich aber aus der redaktionellen Arbeit zurückgezogen. Sie veröffentlichte Reportagen im Rundfunk, machte einige Fernsehbeiträge für »Panorama«. Ihre Themen fand sie vorwiegend im sozialen Bereich: Fürsorgeerziehung, Fließbandarbeit, Benachteiligung von Frauen am Arbeitsplatz. Das war verhältnismäßig neu im deutschen Nachkriegsjournalismus. Ulrike Meinhof wurde über den Rahmen von »konkret« hinaus als Autorin bekannt und geschätzt. Sie wurde zu Fernsehdiskussionen eingeladen, konnte beeindruckend auftreten und überzeugend argumentieren.
Auch zur Hamburger Gesellschaft, liberalen Verlegern, Journalisten, Kaufleuten und Rechtsanwälten, hatte Ulrike Meinhof jetzt Zugang.
»Es war die typische Rolle einer Starkolumnistin«, sagte Peter Rühmkorf später. »Sie war eine vielbewunderte, rhetorisch gewandte junge Frau, die ihre sehr zugespitzten, rigiden politischen Anschauungen in einem Gesellschaftskreis vortrug, der eigentlich mit so strikten Anschauungen gar nichts anfangen konnte. Sie war sicher ein Schoßkind der Gesellschaft. Sie war nicht nur toleriert, sie war nicht nur gern geduldet, sondern sie war viel eingeladen, und man schmückte sich mit ihr. Nicht als einem linken Feigenblatt, sondern als einem linken Teil innerhalb dieser pluralistischen Palette.
Einerseits war sie Teil dieser gehobenen, feinen Society, andererseits hatte sie Kontakt zu Fürsorgezöglingen, machte Berichte über Fließbandarbeit und lebte auf einmal wirklich in zwei Welten.«
Fürsorgeerziehung in geschlossenen Heimen wurde für Ulrike Meinhof so etwas wie das Muster der Unterdrückung. Heimatmosphäre hatte für sie einen sado-masochistischen Charakter. In einem Hörfunk-Feature schrieb sie: »Sado-Masochismus bedeutet, daß das, was den einen quält, dem anderen Spaß macht, bedeutet aber auch, daß Gequältwerden Spaß macht, daß die, die quälen, auch gerne gequält werden, daß in den Gequälten das Bedürfnis entsteht, selbst zu quälen.«
In ihrer Beschreibung der Isolation im Fürsorgeheim nahm sie vorweg, was sie später einmal im Gefängnis selbst erleben sollte:
»Konsequent autoritäre Erziehung setzt insofern die Isolation der Zöglinge voraus. In dem Maße, in dem sie isoliert sind, sind sie auch wehrlos, das heißt beeinflußbar.
Die Mädchen in dem Heim, von dem diese Sendung handelt, sind radikal isoliert. Nicht nur gegenüber der Außenwelt, auch die Gruppen leben voneinander isoliert … So kann sich in dieser Isolation nicht nur der terroristische Charakter von autoritärer Erziehung entfalten, auch sein herausfordernder, sein anspornender.«
Es war der Grundgedanke, daß Repression am Ende zur Rebellion führen mußte.
Zunächst deutete nichts darauf hin, daß ihr das Doppelleben unangenehm war. Von ihrem beim Rundfunk verdienten Geld kaufte sie Anfang 1967 zusammen mit Klaus Rainer Röhl eine Jugendstilvilla im noblen Vorort Blankenese und richtete sie mit altdeutschen Möbeln und Antiquitäten ein. Im Sommer fuhr sie mit Mann und Kindern ins feine Kampen nach Sylt.
Ulrike Meinhof genoß diese neue Umgebung und fühlte sich gleichzeitig zur linken Studentenbewegung hingezogen. Immer häufiger fuhr sie jetzt nach Berlin.
Eines Tages fand Röhl Tagebuchnotizen und las: »Das Verhältnis zu Klaus, die Aufnahme ins Establishment, die Zusammenarbeit mit den Studenten – dreierlei, was lebensmäßig unvereinbar erscheint, zerrt an mir, reißt an mir.
Das Haus, die Partys, Kampen, das alles macht nur partiell Spaß, ist aber neben anderem meine Basis, subversives Element zu sein. Fernsehauftritte, Kontakte, Beachtung zu haben, gehört zu meinem Beruf als Journalistin und Sozialist, verschafft mir Gehör über Funk und Fernsehen über ›konkret‹ hinaus. Menschlichkeit ist sogar erfreulich, deckt aber nicht mein Bedürfnis nach Wärme, nach Solidarität, nach Gruppenzugehörigkeit. Die Rolle, die mir dort Einsicht verschaffte, entspricht meinem Wesen und meinen Bedürfnissen nur sehr partiell, weil sie meine Gesinnung als Kasperle-Gesinnung vereinnahmt, mich zwingend, Dinge lächelnd zu sagen, die mir, uns allen, bluternst sind: also grinsend, also maskenhaft.«
13. Der Schock des 2 . Juni
Die Bundesregierung hatte im Frühsommer 1967 für den
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