Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Berlin:
»Wir haben Fehler gemacht, wir legen ein volles Geständnis ab: Wir sind nachgiebig gewesen, wir sind anpassungsfähig gewesen, wir sind nicht radikal gewesen …
Wir haben in aller Sachlichkeit über den Krieg in Vietnam informiert, obwohl wir erlebt haben, daß wir die unvorstellbarsten Einzelheiten über die amerikanische Politik in Vietnam zitieren können, ohne daß die Phantasie unserer Nachbarn in Gang gekommen wäre, aber daß wir nur einen Rasen zu betreten brauchen, dessen Betreten verboten ist, um ehrliches, allgemeines und nachhaltiges Grauen zu erregen.
Wir haben ruhig und ordentlich eine Universitätsreform gefordert, obwohl wir herausgefunden haben, daß wir gegen die Universitätsverfassung reden können, soviel und solange wir wollen, ohne daß sich ein Aktendeckel hebt, aber daß wir nur gegen die baupolizeilichen Bestimmungen zu verstoßen brauchen, um den ganzen Universitätsaufbau ins Wanken zu bringen.
Da sind wir auf den Gedanken gekommen, daß wir erst den Rasen zerstören müssen, bevor wir die Lügen über Vietnam zerstören können, daß wir erst die Marschrichtung ändern müssen, bevor wir etwas an den Notstandsgesetzen ändern können, daß wir erst die Hausordnung brechen müssen, bevor wir die Universitätsordnung brechen können.«
Am Ende seiner Rede sagte Peter Schneider: »… daß wir gegen den ganzen alten Plunder am sachlichsten argumentieren, wenn wir aufhören zu argumentieren und uns hier in den Hausflur auf den Boden setzen. Das wollen wir jetzt tun.«
Die 2000 Studenten setzten sich, und sie blieben auch sitzen, als sie aufgefordert wurden, das Gebäude zu verlassen. Der Rektor rief die Polizei. Es war der erste Einsatz der Ordnungsmacht auf dem Gelände der Freien Universität Berlin.
In diesem Frühling 1967 erwartete die Bundesrepublik Deutschland den Besuch des Schahs von Persien, Reza Pahlevi, und seiner Frau, der Schahbanu. Die Regenbogenpresse schwelgte in märchenhaften Geschichten über den Glanz des Pfauenthrons. Kaiserin Farah Diba schilderte in einem »persönlichen« Beitrag für die Illustrierte »Neue Revue« ihr Familienleben. In Berlin bereiteten sich die Studenten auf Demonstrationen gegen den iranischen Potentaten vor.
Ulrike Meinhof schrieb in »konkret« einen »Offenen Brief an Farah Diba«:
»Sie erzählen da: ›Der Sommer ist im Iran sehr heiß, und wie die meisten Perser reiste ich auch mit meiner Familie an die Persische Riviera am Kaspischen Meer.‹
Wie die meisten Perser – ist das nicht übertrieben? Die meisten Perser sind Bauern mit einem Jahreseinkommen von weniger als 100 Dollar. Und den meisten persischen Frauen stirbt jedes zweite Kind – 50 von 100 – vor Hunger, Armut und Krankheit. Und auch die Kinder, die im 14 stündigen Tagwerk Teppiche knüpfen, fahren auch – die meisten? – im Sommer an die Persische Riviera am Kaspischen Meer?
Sie schreiben: ›In diesem Punkt ist das iranische Grundgesetz sehr strikt. Der Schah von Persien muß einen Sohn haben.‹
Merkwürdig, daß dem Schah ansonsten die Verfassung so gleichgültig ist, daß keine unzensierte Zeile in Persien veröffentlicht werden darf, daß nicht mehr als drei Studenten auf dem Universitätsgelände von Teheran zusammenstehen dürfen, daß Mossadeghs Justizminister die Augen ausgerissen wurden, daß Gerichtsprozesse unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden, daß die Folter zum Alltag der persischen Justiz gehört …
Wir wollen Sie nicht beleidigen: Wir wünschen aber auch nicht, daß die deutsche Öffentlichkeit durch Beiträge wie den Ihren in der Neuen Revue beleidigt wird.
Hochachtungsvoll Ulrike Meinhof«
12. Die Kolumnistin
Anfang der sechziger Jahre war der Name Ulrike Meinhof plötzlich bekannt geworden. In einem Leitartikel in »konkret« hatte sie im Mai 1961 unter der Überschrift »Hitler in Euch« geschrieben: »Wie wir unsere Eltern nach Hitler fragen, werden wir eines Tages nach Herrn Strauß gefragt werden.«
Franz Josef Strauß klagte. Im Juni 1961 begannen die Ermittlungen, die Staatsanwaltschaft beantragte die Eröffnung des Hauptverfahrens. Als Verteidiger hatte Ulrike Meinhof Gustav Heinemann beauftragt, der Minister unter Adenauer gewesen war und sein Amt aus Protest gegen des Kanzlers Rüstungspolitik niedergelegt hatte. Danach gründete Heinemann eine neutralistisch, pazifistisch orientierte Partei, die »Gesamtdeutsche Volkspartei«. Später trat Heinemann der SPD bei und wurde 1969
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