Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Beleuchtung in der Zelle funktionierte nicht. Sie ließen sich eine Tischlampe bringen. Die Zelle war unordentlich. Im Uhrzeigersinn überprüften die Polizeibeamten den chaotisch herumliegenden Zelleninhalt. Außer einer Glühbirne, die zwischen den Büchern in einem Regal lag, entdeckten sie nichts, was – so das Protokoll – »auf sonstige strafbare Handlungen hingedeutet hätte«.
Die Glühbirne wurde einem Anstaltsbediensteten übergeben. Kurz bevor die beiden Beamten mit der Aktion fertig waren, wurde einer von ihnen abgezogen, weil es in Stuttgart noch mehr zu tun gab: eine Razzia im Rechtsanwaltsbüro Croissant.
Drei Beamte hatten in dieser Nacht die Zelle Andreas Baaders zu durchsuchen. Auch hier schummriges Licht, das nicht einmal zum Lesen gereicht hätte. Schließlich brachten Vollzugsbeamte eine Stehlampe. Damit konnten die Polizisten lesen, was sie in den Lichtkegel hielten. Die Zelle blieb dunkel. Die Beamten setzten eine Neonröhre in die Fassung an der Decke. Sie brannte nicht.
Einer der Beamten durchsuchte die Toilette, das Waschbecken und den Bereich, in dem Lebensmittel herumstanden. Ein anderer nahm das Bett vollständig auseinander. Darunter fand er Werkzeuge aller Art, einen Schraubenzieher sowie eine Menge Stecker und Kabel. Ein Radio und einen Plattenspieler aus Baaders Zelle übergaben die LKA -Beamten der Anstaltsleitung mit der Bitte um genaue Prüfung.
Wie der Hauptkommissar Josef Ring später zu Protokoll gab, wurde eine »gründliche Durchsuchung« vorgenommen. »Ich ordnete ausdrücklich an: die Durchsuchung sämtlicher Bücher, sämtlicher im Raum befindlicher Gegenstände, die Durchsuchung des gesamten Mobiliars. Das Absuchen der Wände ordnete ich nicht ausdrücklich an. Dies gehört aber selbstverständlich zu einer gründlichen Durchsuchung. Dies wußten meine Kollegen.«
Persönlich überprüfte der Einsatzleiter in Andreas Baaders Zelle den Inhalt von etwa fünfzig Gewürzbehältern.
Lediglich die bewohnten Zellen wurden einer Kontrolle unterzogen, nicht aber die anderen leerstehenden Zellen im Hochsicherheitstrakt. Wie »gründlich« die Zellen untersucht worden waren, zeigte sich sechs Wochen später.
Außer einer Lampe, die sich Andreas Baader aus einer Thermoskanne gebaut hatte, wurde in dieser Nacht nichts beschlagnahmt.
Baader hatte in seinen vier Regalen 974 Bücher und 75 Langspielplatten. Eine Mundharmonika, eine Schreibmaschine »Olivetti«, einen Kasten Wasserfarben »Pelikan«, zwei Sonnenbrillen, Haarspray, Lidschatten, zwei Pelzmäntel, einen Elektrowecker mit Batterien, einen Plattenspieler mit Verstärker und Lautsprecherboxen, zahlreiche Medikamentenröhrchen, Gewürze, Bestecke, Teller …
Jan-Carl Raspe besaß ebenfalls einen Plattenspieler, dazu Kabel und Elektrozubehör, über dessen Bedeutung sich die Zellendurchsucher keine Gedanken machten. Auch ein Mikrophon war dabei. Hustensaft, Gewürze, Essig, Backpulver, Soluvetan-Magentee, Elektrokocher … Dazu 550 Bücher, fast ausschließlich politische und historische Werke.
In Gudrun Ensslins Zelle fanden die Beamten Lebensmittel wie Kakao, Haferflocken, Rosinen, Senf, Waschmittel, Tabak »Samson« zum Selbstdrehen, Zwieback, einen Mum-Deoroller, einen Rasierapparat »Schick«, Augenbrauenstift, Elektrokocher, Schreibmaschine, Tee-Ei, Parfumfläschchen, Plattenspieler, blaue Zahnbürste, eine Geige mit Notenständer …
Gudrun Ensslin hatte etwa 450 Bücher in ihrer Zelle, darunter zahlreiche Werke von Lenin und Marx, aber auch Willy Brandts »Begegnungen und Einsichten«, Heinrich Hannovers »Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht«, Thomas Szasz’ »Geisteskrankheit, ein moderner Mythos?«, Hans Magnus Enzensbergers »Der kurze Sommer der Anarchie« und Bertolt Brechts Lehrstücke, darin enthalten »Die Maßnahme«, die neben »Moby Dick« zur Standardlektüre der RAF -Gefangenen gehörte.
Die Zellendurchsuchungen wurden um 2 . 45 Uhr beendet.
3. Die harte Linie
(Dienstag, 6 . September 1977 )
In der »heute«-Sendung des ZDF war bekanntgegeben worden, die Polizei fahnde nach einem weißen VW -Bus mit dem Kennzeichen K – C 3849 . Um 19 . 45 Uhr meldete sich der Hausmeister eines Wohnblocks am Wiener Weg 1 b in Köln. In der Tiefgarage stehe der gesuchte Wagen. Ein Polizeikommando öffnete den Bus mit Hilfe einer Seilwinde, weil man befürchtete, der VW könnte vermint sein. Im Innern des Wagens fanden die Beamten die Kopie eines Schreibens an die
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