Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
hast gesehen und erlebt, was wir für ein Risiko eingegangen sind, dich zu kriegen. Mach dir keine Illusionen.«
Auch Schleyer duzte seine Entführer bald. Er erkannte Christian Klar und ein oder zwei andere aus dem Kommando. Boock war ihm unbekannt, und er fragte ihn ein paarmal nach seinem Namen, doch der gab ihn nicht preis. Anfangs hatten die Entführer ihre Gesichter hinter Kapuzen verborgen, das wurde ihnen jedoch schnell zu unbequem, und sie traten Schleyer unmaskiert gegenüber.
Die Gruppenmitglieder fühlten sich sicher, denn sie hatten nichts zu verlieren. Entweder die Sache lief, oder sie waren tot. Dazwischen gab es nur noch die Verhaftung. Aber auch das Gefängnis war für sie gleichbedeutend mit dem Tod.
In der Nacht wurden die Erklärungen für die Bundesregierung und Presse verfaßt. Das war vor allem Sache der Frauen. Über Monate hatten sie für die Aktion der Aktionen einen genauen Kommunikationsplan ausgeklügelt. Leute, auf die man sich verlassen konnte, gab es genug. Die feste Basis bestand aus etwa 25 Hilfskräften, die zu allem bereit waren und nur darauf warteten, in den engeren Kreis aufgenommen zu werden.
Niemand durfte alles wissen, Arbeitsteilung außerhalb des »inner circle« war alles. Wurde der Hydra ein Kopf abgeschlagen, wuchs ein anderer nach.
Es war das Jahr sieben nach der Baader-Befreiung. Sieben Jahre Zeit hatte die RAF gehabt, um ihren Mitgliedern das Know-how des Untergrundkampfes beizubringen: schießen, Banken überfallen, Papiere fälschen, konspirative Wohnungen mieten, Kommunikation aufrechterhalten. In sieben Jahren kann man eine Menge lernen.
Das Entführerkommando hatte eine Stadtrandsiedlung ausgeguckt, in der es besonders viele Telefonzellen gab. Man konnte die verschiedenen Anrufe von immer wieder anderen Zellen aus machen. Schaltstelle war eine Kneipe in Düsseldorf. Es wurde ein Wort übermittelt, das dann an eine andere Person weitergegeben wurde. Diese durfte Kontakt zum engeren Kreis aufnehmen und wurde in die Nähe von Erftstadt-Liblar bestellt, um eine Nachricht entgegenzunehmen.
Den Boten schickten sie zu einem Pfarrer nach Wiesbaden, um dort einen Brief abzulegen. Wiesbaden, die Stadt, in der das BKA residierte, hatten sie mit Bedacht ausgewählt: »Wir wollten ihnen zeigen«, so Boock, »daß wir keine Angst und keinen Respekt vor ihrer Fahndung haben. Deshalb gleich Wiesbaden zur Eröffnung. Wir fahren direkt vor ihre Haustür und werfen es da ein. Wir können uns bewegen, wie wir wollen.« Auch der Pastor war mit Absicht ausgesucht worden: »Die sind für so was bestens geeignet und machen das relativ zuverlässig.«
Drei oder vier Personen waren für die Nachrichtenübermittlung abgestellt worden. Sie erfuhren immer nur kurz vorher, daß sie etwas transportieren sollten, aber nie, was. Es waren auch immer unterschiedliche Personen, die eine Nachricht vom Kommando abholten und die eine Nachricht irgendwo ablieferten. Selbst wenn der Kurier bei der Sendungsabgabe verhaftet worden wäre, hätte er nie sagen können, von wo die Sendung abgeschickt worden war.
Horst Herold ließ sich in Höchstgeschwindigkeit aus Bayern nach Bonn chauffieren. Dort traf er noch in der Nacht Bundeskanzler Schmidt. Dann ging es zur BKA -Zentrale nach Wiesbaden. Von dort kehrte er völlig übermüdet, aber ausgerüstet mit umfangreichen Fahndungsvorschlägen, deren Einzelheiten er aus seinem BKA -Computer abgerufen hatte, nach Bonn zurück.
»Ich war eigentlich nur erfüllt von dem Gedanken, die Sache zu einem vernünftigen Ende zu bringen, eiskalt, eiskalt«, erinnerte sich Herold später, »während die anderen aufgelöst waren, auch der Schmidt war eigentlich fix und fertig, und der Maihofer und der Vogel und alle. Aber ich überhaupt nicht.«
Ein Nachgeben, darin waren sich die beiden ehemaligen Wehrmachtsoffiziere Helmut Schmidt und Horst Herold einig, kam nicht in Frage. Herold spielte auf Zeitgewinn, er wollte die Entführer hinhalten, sie dadurch zwingen, ihm Informationen zu liefern, mit denen er seinen Computer füttern konnte, um mosaikartig ein Bild der Entführer zusammenzusetzen und schließlich Hinweise auf das Versteck des Entführten zu erhalten.
»Von Stunde zu Stunde«, sagte Herold später, »wurde das Bild der Attentäter klarer. Es war ja alles so vollkommen klar. Man wußte alles, man mußte sie nur kriegen, das ist der einzige Punkt. Früher war es ja so, daß, wenn man einen Mörder suchte, die Schwierigkeit darin bestand, nicht
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