Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Noch verstörter als er war Willy Peter Stoll. Boock schien es, als stünde er völlig unter Schock. Vielleicht, weil er selbst von seinem Genossen fast erschossen worden war, vielleicht aber auch, weil er mit seiner Flinte Schleyers Begleiter zusammengeschossen hatte. Er erholte sich nie wieder davon, und Boock hatte später manchmal den Eindruck, als habe Stoll über dieser Aktion den Verstand verloren. Willy Peter Stoll wurde 1978 bei einem Festnahmeversuch in Düsseldorf von Polizisten erschossen.
Eine gute Stunde nach Mitternacht holten sie Schleyer aus dem Kofferraum und brachten ihn nach oben. Die Betäubung war abgeklungen, und der entführte Arbeitgeberpräsident, bleich und zittrig, konnte selbst gehen. Gehorsam folgte er allen Befehlen. Sie plazierten eine zusätzliche Matratze neben dem Ehebett im Schlafzimmer auf dem Fußboden und wiesen Schleyer an, sich darauf zu legen. Unter den Betten hatten sie Mikrophone versteckt und durch Leitungen mit einem Tonbandgerät in der Küche verbunden. Es sollte die gesamte Zeit mitlaufen und jede Äußerung Schleyers aufzeichnen. Wie im »Volksgefängnis« üblich, wollten sie ihr Opfer später auch noch vernehmen. Der Fernseher war permanent angeschaltet. Um 21 . 30 Uhr sahen sie Bundeskanzler Schmidt in der ARD : »Während ich hier spreche, hören irgendwo sicher auch die schuldigen Täter zu. Sie mögen in diesem Augenblick ein triumphierendes Machtgefühl empfinden. Aber sie sollten sich nicht täuschen. Der Terrorismus hat auf Dauer keine Chancen, denn gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille der staatlichen Organe, gegen den Terrorismus steht der Wille des gesamten Volkes.«
Die Wohnung hatte eine Fläche von 77 , 66 Quadratmetern. Eine Frau Lottmann-Bücklers hatte sie am 18 . Juli 1977 aufgrund einer Zeitungsanzeige gemietet. An Ort und Stelle füllte sie eine sogenannte Selbstauskunft aus. Sie sei am 13 . Oktober 1956 geboren und von Beruf Modeschneiderin. Die Daten wurden nicht überprüft.
»Frau Lottmann-Bücklers« hatte auch die Wohnung eingerichtet. Die Schrankwand kostete 998 Mark, die Schlafzimmereinrichtung 1969 Mark, wovon sie 1469 Mark in bar anzahlte. Bei Hertie kaufte sie einen Kühlschrank und einen Elektroherd für zusammen 583 Mark und zahlte ebenfalls in bar. Dazu einen Fernseher der Marke »Samurai« und einige Kleinigkeiten, darunter eine Fußmatte mit Hirschmotiv. Solche waidmännisch gestalteten Fußmatten entdeckten Fahnder später in einer ganzen Reihe konspirativer Wohnungen und schlossen auf eine Anspielung auf den damaligen Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Burkhard Hirsch.
Die Entführer hatten im Einbauschrank ( 160 Zentimeter breit, 71 Zentimeter tief, 250 Zentimeter hoch) des Flures ein mit Schaumstoff ausgeschlagenes Verlies konstruiert, darin ein Stuhl und eine Kette. Boock zeigte Schleyer die dunkle Kiste und sagte: »Da hört dich niemand. Wenn du dich nicht normal verhältst, setzen wir dich da rein. Dann ist Ruhe im Salon.«
Peter-Jürgen Boock betonte später, Schleyer sei nie in den Schrank gesperrt worden. Doch die Auswertung der an den Schaumstoffteilen gesicherten Haare ergab, daß 108 der 190 Haarspuren mit den Vergleichskopfhaaren Schleyers übereinstimmten. Die Erbauer dieses Verlieses waren dieselben, die immer die »Isolationsfolter« in den Gefängnissen angeprangert hatten.
In dieser Wohnung brachte Schleyer die erste Zeit seiner Entführung zu, wahrscheinlich zehn Tage, denn vom 16 . September an war, wie die Polizei später feststellte, in der Wohnung Nummer 104 kein Strom mehr verbraucht worden. Das Hochhaus war etwa dreißig Autominuten vom Entführungsort in Köln entfernt.
2. Eine gründliche Durchsuchung
Die Nachricht von Schleyers Entführung konnten die Häftlinge in Stammheim mit ihren Rundfunkgeräten empfangen. Auch die ZDF -Sendung »heute«, die um 19 . 23 Uhr über die Entführung berichtete, verfolgten die RAF -Gefangenen auf ihren Fernsehern in den Zellen.
Erst als um 20 . 00 Uhr die »Tagesschau« lief, schlossen Vollzugsbeamte die Zellen auf und nahmen den Häftlingen Radios und Fernseher ab. Eine Stunde später wurden Baader, Ensslin und Raspe in andere Zellen im siebten Stock verlegt. Eine Gruppe von Beamten des Landeskriminalamts Stuttgart hatte den Auftrag erhalten, die Stammheimer BM -Zellen zu durchsuchen. Bundesanwalt Widera leitete den Einsatz.
Zwei LKA -Beamte begannen in Jan-Carl Raspes Zelle. Zunächst hatten sie Schwierigkeiten, denn die
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