Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Bundesregierung, in dem sie aufgefordert wurde, unverzüglich alle Fahndungsmaßnahmen zu unterlassen – »oder wir erschießen schleyer sofort, ohne daß es zu verhandlungen über seine freilassung kommt«.
Die Polizei durchkämmte das Hochhaus auf der Suche nach einer konspirativen Wohnung. Eines der Appartements war von einer »Lisa Riess« gemietet worden, ihr gehörte auch der Tiefgaragenplatz 127 , auf dem der VW -Bus stand. Gegen Mitternacht wurde ein aus Nordirland importierter Minipanzer mit Scheinwerfer, Videokamera und Schnellfeuergewehr vor der Wohnung in Stellung gebracht.
Polizeibeamte sprengten die Tür auf und steuerten den Panzer über Funk durch die Wohnung. Das Appartement war leer bis auf eine Luftmatratze, ein Funksprechgerät, einen Stuhl und eine Nachttischlampe.
Die Entführer hatten kreislaufstabilisierende Mittel bereitgelegt, um den robusten, aber immerhin schon 62 jährigen, korpulenten Arbeitgeberpräsidenten im Notfall versorgen zu können. Auch ein Arzt stand auf Abruf bereit. Nahrungsmittelvorräte waren angelegt worden, so daß sie die Wohnung über Tage nicht verlassen mußten. Für Schleyer hatten sie Babynahrung besorgt, der ganze Kühlschrank stand davon bis oben voll. »Bevorzugt Alete-Kinderkost«, erklärte Boock später, »weil die jeder verträgt, auch wenn er einen kaputten Magen hat oder vor Aufregung nur so kotzt.«
Die Gruppe hatte vorher einen genauen Plan festgelegt, wer Schleyer wann bewachen sollte. Nach den Erfahrungen langer Geiselhaft, so hatten sie aus der Literatur erfahren, könnte eine übergroße Nähe und Vertrautheit zwischen Bewachern und dem Bewachten entstehen. Deshalb sollten die Wächter ständig wechseln. Sie hatten damit gerechnet, daß Schleyer sehr widerspenstig auf ihre Anweisungen reagieren würde, und waren verblüfft, wie kooperativ er war. »Er hat in wohlverstandenem Eigeninteresse mitgedacht und uns auch auf Fehler aufmerksam gemacht«, sagte Boock. »Gleichwohl hat er von Anfang an gesagt, er würde uns keine Informationen geben, die geeignet wären, die Sicherheit der Bundesrepublik in irgendeiner Weise zu tangieren. Er würde sich auch nicht dazu hergeben, sozusagen Teil der Erpressung der Bundesregierung zu werden.«
Der erste aus dem Entführerkommando, der abgelöst werden sollte, war Willy Peter Stoll. Am Morgen erschien Adelheid Schulz im Versteck Zum Renngraben.
»Wo ist er denn?« fragte sie Brigitte Mohnhaupt. Die zeigte auf das Schlafzimmer: »Da.«
Adelheid Schulz öffnete die Tür und sagte im breitesten Schwäbisch: »Des hattste net gedacht, daß de disch ma im Volksgefängnis wiederfindest.«
Schleyer blickte sie wie eine Geisteserscheinung an, und Peter-Jürgen Boock konnte sich vor Lachen kaum noch halten.
Schon am ersten oder zweiten Tag begannen die Entführer mit ihren »Vernehmungen«, die mit der in Schleyers Zimmer installierten Tonaufnahmeanlage aufgezeichnet wurden. Sie hatten eine bestimmte Dramaturgie vorbereitet, nach der sich belanglose, aber überprüfbare Themen mit harten Fragen abwechseln sollten. So wollten sie herausfinden, ob Schleyer ihnen die Wahrheit sagte oder ob er versuchte, sie aufs Glatteis zu führen. Was sie aber eigentlich erfahren wollten, wußten sie selber nicht. Schleyer hielt ihnen deshalb so etwas wie Volkshochschulkurse über Management und Wirtschaft. Bei manchen Fragen schüttelte er nur den Kopf: »Also, Leute, die Vorstellungen, die ihr da habt, die sind ja nun sehr geprägt von eurer Einstellung.«
Die Verhöre wurden prinzipiell zu zweit gemacht. Einer fragte, und der andere überwachte das Gespräch aus dem Hintergrund und mischte sich nur gelegentlich ein. Den ursprünglich geplanten harten Kurs in den Verhören hielten sie nur am ersten Tag durch. »Der Typ«, so Boock, »entsprach in keiner Weise unseren Klischees und unseren Vorstellungen über ihn.« Schleyer war jovial, machte Witze, erzählte von seiner Kriegsgefangenschaft und daß er ja nicht das erste Mal eingesperrt sei. Nur wenn die Rede auf seine Nazivergangenheit kam, wirkte er, zumindest in den Augen Boocks, wirklich betroffen.
Zur Verrichtung der Notdurft hatten sie ursprünglich ein Chemieklosett für ihn vorgesehen. Doch dann ließen sie ihn auf die normale Wohnungstoilette: »Aber versuch nicht, zur Tür rauszukommen. Erstens schaffst du das sowieso nicht, und zweitens ist immer jemand mit der Knarre da. Wenn du auch nur Piep sagst, dann war’s das. Und wenn wir alle dabei draufgehen. Du
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