Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
vom Turm der Gedächtniskirche herabzulassen, Schlag 12 . 00 Uhr mittags. Baader war das nicht genug, und er regte eine etwas revolutionärere Aktion an. Nach seinen Vorstellungen sollte gleich der ganze Turm der Gedächtniskirche gesprengt werden. Das wiederum erschien den anderen ein wenig zu radikal. Schließlich einigte man sich darauf, den Turm »symbolisch« zu sprengen, indem Rauchkerzen gezündet wurden. Die waren auch ziemlich einfach zu besorgen – ein gewisser Peter Urbach hatte schier unerschöpfliche Vorräte.
Baader lud seine Freundin Ello ein, pünktlich um 14 . 00 Uhr mit ihren Kindern zur Gedächtniskirche zu kommen. »Ich wollte das erst gar nicht«, sagte die Malerin. Aber aus Neugier schaute sie dann doch vorbei. Aus sicherer Entfernung beobachtete sie, wie es »aus dem Kirchturm dampfte«. Baader, so erinnerte sich später ein Mitglied der Kommune I , habe die Rauchbombe mit elektrischem Zünder und Zeituhr konstruiert. Bei der Aktion selbst habe Baader gemeinsam mit Gudrun Ensslin im Eingangsbereich Schmiere gestanden und ein Liebespaar gespielt. Es war ihre erste gemeinsame Aktion.
14. Der Agent
Irgendwann Anfang der sechziger Jahre hatte sich ein junger Mann, von Beruf Klempner und Rohrleger, bei der DDR -eigenen Deutschen Reichsbahn beworben, die in Westberlin die S-Bahn betrieb. Sein Name war Peter Urbach.
Die meisten Reichsbahner im Westen waren Mitglied des Westberliner Ablegers der SED , der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins ( SEW ). Wer neu zur S-Bahn kam, mußte sich auch um das rote Parteibuch bemühen.
Der Handwerker Peter Urbach wurde bei der S-Bahn und in die Partei der Arbeiterklasse aufgenommen. Wie alle anderen Kollegen und Genossen abonnierte er das Zentralorgan der Partei, »Die Wahrheit«. Das Blatt warb auf den S-Bahnsteigen und in den Zugabteilen mit der Losung »Schaff dir Klarheit, lies die Wahrheit!« Doch Peter Urbach wollte noch anderen Klarheit verschaffen und ging ein weiteres Arbeitsverhältnis ein. Er berichtete regelmäßig dem Berliner Landesamt für Verfassungsschutz, was er über die Westberliner Kommunisten in Erfahrung bringen konnte.
Peter Urbach war Agent.
Er lebte unauffällig mit Frau und zwei Kindern in einer kleinbürgerlichen Mietwohnung. Mitte der sechziger Jahre kommandierte ihn sein Amt in die Studentenbewegung ab. Handwerkliche Fähigkeiten wurden überall gebraucht, im neugegründeten »Republikanischen Club«, in den renovierungsbedürftigen Wohnungen der Studenten und vor allem bei der »Kommune I « am Stuttgarter Platz. Peter Urbach war hilfsbereit und immer zur Stelle. Er reparierte sanitäre Anlagen und defekte Elektrogeräte, besorgte geklautes Baumaterial »zum Selbstkostenpreis«, bastelte und baute in vielen Wohnungen.
Nach seinen Erzählungen hatten Diebstahl und andere »schräge Dinger« zur Kündigung bei der S-Bahn und zum Ausschluß aus der SEW geführt.
Das kam an bei den antiautoritären Studenten, denn von der SEW wollte man damals noch weniger wissen als von den etablierten Rathausparteien. In einem Arbeitsgerichtsprozeß gegen die S-Bahn wurde Urbach vom Anwalt Horst Mahler vertreten. Von 1967 an arbeitete er ganztägig für das Landesamt für Verfassungsschutz: ständig auf Achse beim Ausspähen studentischer Selbstfindung und Selbstverwirklichung in der politischen Aktion.
Das Rüstzeug dafür hatte er stets bei sich: Haschisch und harte Drogen, Knallkörper und Rohrbomben, Schreckschußpistolen und großkalibrige Waffen. Er belieferte die Drogenszene, besorgte Materialien für die Aktionen der »Kommune I « und später für die entstehende Stadtguerilla.
Besonders enge und freundschaftliche Beziehungen verbanden Urbach mit der »Kommune I «, mit Rainer Langhans, Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann. Er war auch dabei, als die Kommunarden das »Puddingattentat« vorbereiteten. Prompt flog der Plan auf.
Im Sommer 1967 bastelte Urbach einen Pappsarg, der anläßlich der Beerdigung des ehemaligen Reichstagspräsidenten Paul Löbe von buntgewandeten Studenten provokativ unter die Trauergäste getragen wurde. Schulter an Schulter mit dem Verfassungsschutzagenten schleppte damals Andreas Baader den Sarg, in dem kostümiert Dieter Kunzelmann lag.
In dieser Zeit lernte auch der spätere Bombenleger Michael »Bommi« Baumann im Umfeld der »Kommune I « und der APO -Kneipe »Zum Schotten« Andreas Baader und Gudrun Ensslin kennen. Baader, so erinnerte sich Bommi, hatte immer einen »unheimlichen
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