Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Vortrag drauf«. Er monologisierte stundenlang über seine vergangenen und seine zukünftigen Abenteuer, die alle irgend etwas mit »Terror machen« zu tun hatten. Spätabends kam es auch schon mal vor, daß Baader einem Betrunkenen auf die Toilette nachging und dessen Brieftasche »teichte«. Seine weitere Spezialität war Autodiebstahl. Die Studenten aus der APO -Szene fanden das zumeist gar nicht so übel, endlich einmal erwies sich einer als Tatmensch.
Schon als Baader in der Berliner Szene auftauchte, hieß es überall: »Das ist ein ganz Verrückter, der redet nur von Terrorismus.« Andere, die später im »Blues« durch Brandanschläge von sich reden machten, waren noch auf dem Drogentrip. »Baader dagegen war so ein Marlon-Brando-Typ«, beschrieb ihn Bommi Baumann. In den Kneipen provozierte er gern irgendwelche Leute, ließ es auch auf Schlägereien ankommen, aber die meisten Studenten kniffen, bevor es richtig ernst wurde. Das verlieh Baader eine gewisse Autorität.
Andreas Baader stilisierte sich gern nach Vorbildern aus dem Kino und der Literatur. Eines seiner Lieblingsbücher damals war Thomas Wolfes »Es führt kein Weg zurück«. Darin heißt es über einen Helden des Romans: »Vielleicht hatte Rumford Bland im Finstern nach dem Leben gesucht, nicht weil etwas Böses in ihm war (obwohl er bestimmt Böses in sich hatte), sondern des Guten wegen, das in ihm noch nicht erstorben war. Irgend etwas in diesem Menschen hatte sich immer gegen die Langeweile des Provinzlebens aufgelehnt, gegen Vorurteil und Mißtrauen, gegen Selbstgefälligkeit, Sterilität und Freudlosigkeit. Er hatte in der Nacht etwas Besseres zu finden gehofft: Wärme und Kameradschaft, ein dunkles Geheimnis, die prickelnde Erregung des Abenteuers, die Sensation, gejagt, verfolgt und vielleicht auch gefangen zu werden, die Erfüllung seiner Begierde.«
Andreas Baader war in Berlin und in seiner Phantasie in vielen Welten zu Hause. Er hatte jedoch, im Gegensatz zu den politisch vielleicht gebildeteren, aber, was Menschenkenntnis angeht, recht unbedarften Studenten, ein ausgeprägtes Gefühl für die Schwächen und Sentimentalitäten anderer. Mit seinem brutalen Charme verstand er es, Menschen gleichzeitig anzuziehen und einzuschüchtern und so Abhängigkeiten herzustellen.
Im Februar 1968 kam es zum endgültigen Bruch Gudruns mit Bernward. Mutter Ensslin schrieb einen bekümmerten Brief, in dem sie Gudrun beschwor, nicht auch noch zum Problemfall in der Familie zu werden. Zwei ihrer Geschwister hatten eine psychiatrische Krankengeschichte hinter sich. Im März wandte sich Ilse Ensslin an Vesper, er solle mithelfen, daß etwas »Aufbauendes geschieht«, Gudrun habe »schwere innere Verletzungen, seelisch und körperlich, erlitten, die eines langsamen Heilungsprozesses bedürfen«. Vesper antwortete, er hänge noch sehr an Gudrun, sie habe aber zu Andreas Baader eine »ähnliche Abhängigkeit« entwickelt, die »Gudrun wieder nicht gestattet, zu sich selbst zu kommen«. Er sehe in der »augenblicklich herrschenden Nervosität bei ihr die latente Gefahr psychischer Störungen« und kommt zu dem Schluß: »Es ist das Ungeregelte und Zwangslose an Andreas’ Leben, das sie anzieht, aber ich weiß nicht, wie weit sie … auf die Dauer dem gewachsen ist.«
15. Die Brandstiftung oder: Es führt kein Weg zurück
Inzwischen hatte sich Baader, wie ein ehemaliges Kommunemitglied später sagte, zu einer »nicht unangenehmen Randfigur« der Szene gemausert. Anfang März 1968 begann vor dem Landgericht Moabit die Fortsetzung des im Juli 1967 unterbrochenen Prozesses gegen die Kommunarden Rainer Langhans und Fritz Teufel wegen ihres Flugblattes, mit dem sie angeblich zur Brandstiftung in Warenhäusern aufgerufen hätten. Drei Tage nach Prozeßbeginn, am 6 . März, zündete im obersten Stockwerk des Kriminalgerichtes ein in eine Aktentasche verpackter Molotowcocktail. Er war mit Taschenlampenbatterien und Glühzünder ausgestattet, so wie einen Monat später Brandsätze in zwei Frankfurter Kaufhäusern. Es gab eine kurze Stichflamme, der Sachschaden war gering.
Schon im Frühherbst des vorangegangenen Jahres hatte der Kommunarde Ulrich Enzensberger in der Wohnung von Gudrun Ensslin und Andreas Baader in der Badenschen Straße auf einem Tisch Drähte, Isolierband und eine Kombizange gesehen, doch niemand schöpfte Verdacht, daß Baader den Molotowcocktail ins Gericht gelegt haben könnte.
Im Prozeß hatte sich Langhans beim Richter erkundigt:
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