Der Babylon Code
danach erklärt, Kinder kämen so lange nicht in Frage, wie ich solch gefährliche Jobs machen würde.«
»Würde ich auch so halten«, sagte Anja. »Ich hätte das bis dahin schon nicht mitgemacht.« Sie schwiegen eine Weile. »Aber wie wird man dann… Logistiker?«
Chris schnaufte, als schüttele er einen Schlag auf die Nase ab.
»Meine Frau fand die Bestätigung zum Eignungstest bei der GSG 9 in meiner Jackentasche.«
»Das ist doch diese Spezialeinheit auf Bundesebene«, sagte Philipp. »Da haben Sie ja noch einen draufgesetzt.«
»Angeblich kann ich stur sein.« Chris hatte plötzlich die hässlichste Szene ihrer Ehe vor Augen. Ihr beider Geschrei hatte das ganze Haus geweckt, und es war so viel Geschirr zu Bruch gegangen, dass Nachbarn besorgt die Polizei gerufen hatten.
Am meisten hatten sie sich mit Worten verletzt: wie mit einem Skalpell ins Herz hinein. Sie hatte ihn verlassen, hatte mit seinen eigenmächtigen Entschlüssen nicht weiterleben wollen.
»Und dann?«
»Ich scheiterte beim Aufnahmetest.«
»Autsch.« Philipp biss sich auf die Unterlippe.
Chris sah zum Seitenfenster hinaus. Er hatte die Situation immer noch klar vor Augen: Sie saßen in einer Betonbaracke. Der Raum war absolut kahl, bestand nur aus weißen Wänden und Neonlampen, und der Scharfrichter war so emotionslos wie ein toter Fisch. Der Psychologe der GSG 9 bescheinigte ihm einen Hang zu spontanen, eigenmächtigen und unabgestimmten Handlungen. Seine große Schwäche läge somit in einer nur begrenzten Teamfähigkeit, weil seine impulsiven und manchmal sehr überraschenden Entschlüsse ein ganzes Team gefährden könnten. Das aber sei ein eindeutiges Ausschlusskriterium für die GSG 9.
Diese Beurteilung hatte ihn wenig später auch bei seinen bisherigen Vorgesetzten in die Klemme gebracht. Er hatte bei einem Einsatz gegen Drogendealer die Entscheidung zum Zugriff getroffen, weil ihm die Gelegenheit günstig erschienen war, anstatt auf die anderen Jungs zu warten. Sein Partner hatte einen Schuss in die Brust davongetragen und nur knapp überlebt. Sein Chef hatte ihn dafür verantwortlich gemacht und die Bewertung des Psychologen gezückt…
»Alles auf einmal«, murmelte Philipp.
»Ich schmiss hin«, sagte Chris, der immer noch an der Beurteilung zu kauen hatte. »Ich hatte den Chef eines privaten Sicherheitsdienstes kennen gelernt, der Prominente schützte und Firmen in Sicherheitsfragen beriet. Damit ließ sich gutes Geld verdienen.«
»Hört sich auch spannend an.«
»Aber auch da lief es so wie überall im Leben. Das Ende kam nach zwei Jahren, als ich einer zweitrangigen Schlagersängerin bei einem Konzert als Personenschutz zugeteilt war und verhinderte, dass ein übereifriger Fan ihr zu nahe kam. Der junge Mann ließ sich nicht bändigen, ich schlug irgendwann zu, als er mir die Finger in die Augen stoßen wollte, und brach ihm eine Rippe. War nicht beabsichtigt, ist aber passiert. Dummerweise war es
der Sohn der Sängerin, der seine Mutter hatte überraschen wollen. Es drohte eine Anzeige wegen Körperverletzung, Schmerzensgeld, und die Sängerin verlangte meinen Rausschmiss, wenn es weitere Aufträge für das Unternehmen geben sollte. Stress mit dem Chef – klar!«
»Und da haben Sie Ihr eigenes Unternehmen gegründet.«
»Ja – mit einer geklauten Geschäftsidee.« Chris lachte. »Das Unternehmen baute gerade einen Geschäftszweig auf, in dem es für Prominente und Firmen all das transportierte, was diese nicht der Post anvertrauen wollten. Dazu gehörte der Schmucktransport zum Urlaubsort für die reiche Millionärsgattin ebenso wie der Transport von Blaupausen für eine neue U-Boot-Generation von einer Werft zum Verteidigungsministerium. Ich sagte mir, das kann ich auch.«
»Hört sich einfach an«, meinte der Tramper.
»Na ja – ich hatte die Telefonnummer eines Kunsthändlers, den ich noch als Angestellter der Sicherheitsfirma mehrmals zu Auktionen begleitet hatte. Einmal hatte ich verhindern können, dass ein Taschendieb ihm eine kostbare assyrische Statuette entwendete. Den rief ich also an. Zwei Wochen später war er mein erster Auftraggeber. Er hat mir danach Referenzen ausgestellt und auch weitere Kunden vermittelt.«
»Und zu dem Kunsthändler fahren Sie jetzt!«, sagte Philipp.
»Zu dem fahre ich.«
»Auch wenn es gerade nicht so gut läuft – der Mann hat etwas gut bei Ihnen, oder? Sie wären damals doch sonst kaum auf die Beine gekommen.« Anja sagte es ganz nüchtern, ohne Wertung.
Chris
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