Der Babylon Code
Qualität sofort erkannt.
»In der Dominikanischen Republik werden drei Mal so viel Zigarren gerollt wie in Kuba«, sagte Chris.
»Sage ich doch: Masse statt Klasse.«
Schuster stieß es höhnisch aus, und die umstehenden Gäste lachten wieder. Chris registrierte den nervösen Unterton bei einigen. Sie waren neugierig auf das Duell, solange die richtige Seite gewann.
»Der Boden ist der gleiche wie in Kuba«, sagte Chris laut in das abebbende Gelächter hinein. »Daran kann es nicht liegen.«
Die Stimmen verstummten, und in die Gesichter trat interessierte Spannung.
»So?«
Hubert Schuster starrte böse auf das Podium. Er war Widerspruch nicht gewohnt.
»Beide Inseln gehören zu den Großen Antillen. Beide haben tropisches Klima, beide liegen zwischen dem 18. Breitengrad und dem Wendekreis des Krebses…«
». . . machen wir jetzt Erdkunde?« Hubert Schuster schob seine beiden Schönen etwas zur Seite.
Chris stand mit beiden Beinen fest und gerade auf dem Boden, die Arme halb geöffnet, die Hände in Brusthöhe. Er strahlte mit seiner Ruhe und seiner freundlichen Gelassenheit absolute Überzeugung aus.
». . . und beide Inseln bestehen aus denselben Graniten, aus demselben alten Eruptivgestein mit identischen Sedimenten aus der Kreidezeit…« Chris’ raue Stimme klang nachsichtig, fast schon herablassend.
». . . nun ja«, erwiderte Hubert Schuster plötzlich schwach.
». . . und nichts, aber auch gar nichts an der Bodenqualität ist im Westen Kubas, in der Vuelta Abajo, besser als im Cibao-Tal in der Dominikanischen Republik.« Chris lächelte falsch. Er war plötzlich froh, so ausführlich mit dem Zigarrenhersteller gesprochen zu haben.
Die Köpfe wandten sich zu Schuster, der mit zornesrotem Gesicht dastand und einen Moment überlegte, ehe er in die Falle tappte.
»In Kuba haben sie ganz andere Tabakpflanzen. Die Pflanze an sich, das ist es, was diesen entscheidenden Unterschied letztlich wirklich ausmacht.« Seine Stimme triefte vor Lässigkeit. Er sah zufrieden in die Runde, und einige der Gäste nickten heftig.
»Ich muss Ihnen da leider erneut widersprechen.« Chris’ Stimme war leise, freundlich und klar.
Der Blick der Blondine an Schusters Seite hakte sich in Chris’ Augen fest. Ihre Iris weitete sich, und sie öffnete den Mund, biss die Zähne fest aufeinander und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Chris registrierte ihre Warnung, aber jetzt musste er es zu Ende bringen.
So war das mit den Kämpfen. Das hatte er in seinem Leben immer wieder erfahren müssen: Ab einem bestimmten Punkt musste er durch, egal, was danach passierte.
Chris wartete, bis Schuster aufbrausen wollte, und wechselte die Tonlage. Kalt und ätzend fuhr er ihm über den Mund.
»Sie kennen offensichtlich die Siedlungsgeschichte Kubas nicht.
Was meinen Sie, was die dominikanischen Siedler mitbrachten, die im 18. und 19. Jahrhundert vor den ständigen Unruhen auf ihrer Insel flohen und in Kuba den Tabakanbau aufzogen?« Chris bemerkte den leicht triumphierenden Unterton in seiner Stimme und legte erneut eine kalkulierte Pause ein. Der Kerl hatte ihn zu sehr gereizt mit seiner arroganten Art. Für seine letzten Worte schaltete er auf triefenden Hohn um. »Ich will es Ihnen verraten. Sie brachten ihren Tabaksamen mit. Noch Fragen?«
Schuster schwieg und presste die Lippen zusammen. Sein wütender Blick wanderte zu Scharff. Die Gäste starrten peinlich berührt zu Boden.
»Idiot«, murmelte Scharff. Er gab dem Orchester ein Zeichen, die peinliche Stille mit einer schwungvollen Melodie zu durchbrechen, damit die Gäste auf die Tanzfläche ausweichen konnten.
Scharff stieg vom Podium, ohne Chris eines Blickes zu würdigen. Er legte Schuster den rechten Arm um die Schulter und zog ihn weg.
Chris stand allein auf dem Podium. Neben ihm kramte einer der Kellner die Zigarrenutensilien zusammen und gluckste in sich hinein.
Unten bahnten sich Scharff und Schuster einen Weg. Plötzlich drehte Schuster sich um. Er streckte die rechte Hand aus, tat, als sei der Zeigefinger der Lauf einer Waffe, die auf Chris gerichtet war, und deutete einen Schuss an. Dann bedeckte er mit seiner linken Hand kurz die Augen.
Kapitel 4
Toskana
Donnerstag
Chris war locker und entspannt. Es war wie eine Fahrt in den Urlaub. Die Höhen des Apennins im Hintergrund, schweifte sein Blick über die Weiten der Ackerflächen und endlosen Weinberge. Die Bergrücken verschwammen im Schein der Sonne wie sanft fließende Wellen, weich gezeichnet mit
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