Der Babylon Code
einem breiten Pinsel. Endlose Trockensteinmauern säumten die Wege.
Er hatte in einer Pension in München übernachtet und am frühen Morgen den vom Grafen vorbestellten Mietwagen übernommen. Über Innsbruck und Bozen war er mit dem silberfarbenen Mercedes E 220 nach Verona, dann weiter Richtung Bologna und Florenz gefahren. Auf einem Parkplatz hatte er spontan ein junges Tramperpärchen mitgenommen, das per Anhalter Richtung Rom unterwegs war.
Anja und Philipp wollten die Ewige Stadt erkunden und den Papst sehen. Die ganze Zeit hatten sie über Gott und die Welt geredet, und Chris genoss die Ausgelassenheit und das Lachen der knapp Zwanzigjährigen, als sein Handy klingelte.
»Seid bitte mal einen Augenblick ruhig, ja?« Er sah die Nummer auf dem Display und stöpselte sich den Hörer ins Ohr.
Es war Ina. Sie wollte ausnahmsweise früher nach Hause gehen und schnell noch die Aufträge für die anderen Kuriere in der kommenden Woche durchsprechen. Als sie anschließend nach dem Wetter fragte, unterbrach er sie.
»Ina, sag, was du sagen willst.«
Sie druckste herum. »Der Steuerberater hat angerufen«, sagte
sie endlich. »Er macht sich Sorgen um uns. Klar ausgedrückt: Wir machen im Moment kräftig Miese. Die ersten Monate waren katastrophal. Das deckt sich mit dem Kontoauszug, den die Bank geschickt hat. Lauter Minus-Zeichen.«
»Ich weiß, dass es nicht rosig aussieht.« Die Bank hatte ihm beim letzten Besuch gedroht, die ohnehin knappe Kreditlinie zu kappen, wenn nicht bald etwas geschah.
Chris blickte kurz zu Philipp auf dem Beifahrersitz. Der junge Tramper horchte interessiert. Ihre Augen trafen sich. Philipp verstand und hörte weg.
»Das ist nun einmal so in Wachstumsphasen. Da muss erst investiert werden, bevor…«
»Hör auf«, flüsterte Ina beschwörend durchs Telefon. »Ich habe dich gewarnt. Die zwei neuen Jungs sind zu viel auf einmal. Und mit den Dumpingpreisen holen wir zwar mehr Aufträge, aber keine Gewinne.«
Er hatte im Herbst zwei neue Kuriere eingestellt, als er mit seinen beiden Studenten nicht mehr hinterhergekommen war. Sie waren jetzt zu fünft plus Ina im Büro. Aber er hatte sich verkalkuliert, was die Steuerung und die Akquise von Aufträgen für fünf Kuriere anging. Außerdem gab es Kunden, die Wert darauf legten, dass nur er ihre Aufträge erledigte. Sie sahen es als ausgesprochenen Vertrauensbeweis, dass er ihre Urlaubskleidung in den Ferienort transportieren durfte. Jede Änderung war irritierend, und Chris hatte die Empfindlichkeit mancher Kunden einfach unterschätzt.
Wie er es auch anstellte, er kam auf keinen grünen Zweig. Entweder reiste er selbst und stand für die Jagd nach Aufträgen nicht zur Verfügung oder umgekehrt.
»Der Graf hat doch schon bezahlt, sagtest du gestern Abend.«
Ina schwieg, und er dachte schon, die Verbindung sei abgebrochen.
»Klar«, sagte sie schließlich. »Aber dafür gibt es andere Ausfälle. Da sind heute Morgen telefonisch vier Kündigungen reingekommen. Die werden uns nicht mehr beauftragen. Das Schlimme ist: Es waren feste, regelmäßige Aufträge.«
Chris stutzte. Er sah im Rückspiegel, dass die junge Anhalterin aus dem Fenster sah und sich bemühte, nicht auf seine Worte zu achten.
»Was soll das heißen?«
Ina lachte nervös.
»München lässt grüßen. Du musst gestern Nacht einen eindrucksvollen Auftritt gehabt haben.«
»Scharff? Das Kaufhaus?«
»Eine – ja. Zwei Kündigungen kamen von Sprenger in Augsburg und der Niederlassung hier in Köln. Die vierte stammt von Könemann in Essen. Hast du jemandem mit dem Vorschlaghammer die Füße platt geschlagen?«
»Schwachsinn.«
»Jedenfalls scheint ein Chef mit dem anderen gesprochen zu haben, und wir sind raus.«
Zarrenthin fluchte. »Woher weißt du das?«
»Die Kündigung des Kaufhausauftrages hat eine Frau Achternbusch durchgegeben. Sie sagte, sie rufe ausdrücklich im Auftrag ihres Chefs an… auch die Prämie gäbe es nicht, der Boss sei sauer.« Ina hielt inne. »Was hast du gemacht?«, fragte sie dann. »Hast du dich wieder einmal hinreißen lassen?«
»Warum mach ich diese Scheiße überhaupt?« Chris drosch wütend auf das Lenkrad. »Ich hätte ein braver Bulle bleiben sollen.«
»Ärger?«
»Und ob!« Chris erinnerte sich an die beiden Tramper und lächelte schief. »Sorry. Mein kleines Unternehmen hat gerade ein paar Probleme.«
»Soll es ja geben.« Philipp nickte ernst. »Meine Eltern hatten mal ein Geschäft für Musikinstrumente. Auch
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