Der Bann (German Edition)
Toaster. Neben dem Toaster ein Holzblock mit sechs unglaublich scharfen Sabatier-Messern, die Nicole aus Thiers mitgebracht hatte.
Sie warf einen Blick über die Schulter. Er saß in der Frühstücksnische und hatte ein gerahmtes Foto von der Fensterbank genommen, das er nun aufmerksam studierte. Es war ein Foto von Hannah, aufgenommen, als sie dreizehn gewesen war. Sie sitzt in einem Kanu, eine Schwimmweste über der Jacke, und lächelt in die Kamera. Sie hatten Urlaub gemacht an der Dordogne. Zwei Wochen Camping am Fluss, kochen auf einem Butangasofen, Geschichten erzählen unterm Sternenhimmel.
Der Mann, der aussah wie Charles, blickte zu ihr hoch und grinste, und Nicole gestand sich endlich ein, dass er ein Doppelgänger war. Sie drehte sich zum Küchentresen um, befürchtete, ihre Beine könnten nachgeben. Nicht auszudenken. Auf dem Boden liegend, mit dem Monster hinter ihr. Sie schluckte schwer und zwang sich, nicht blind wegzurennen.
Wie lange hatte Petre in Carcassonne die Rolle ihres Vaters eingenommen, bevor er ihn umgebracht hatte? Tage? Wochen? War es das erste Mal, dass Jakab sie besuchte? Das zehnte Mal? Wäre ihm nicht der kleine Fehler oben im Schlafzimmer unterlaufen, sie hätte nie im Leben Verdacht geschöpft.
Du hast mit ihm geschlafen.
Charles’ Erfolg als Autor musste ihn hergelockt haben. Das Buch mit dem verdammten Schutzumschlag und ihrem Foto. Oder der Artikel im Journal. Beide waren im letzten Monat erschienen. Wie lange hatte Jakab gebraucht, um sie zu finden? Wie lange, um Charles ausfindig zu machen? Es konnten nicht mehr als ein paar Wochen sein, vielleicht nur ein paar Tage. Vielleicht war es das erste Mal, dass er sie besuchte. Falls das so war, dann lebte ihr Mann möglicherweise noch.
Vielleicht.
Eventuell.
«Der Juwelier hat angerufen», sagte sie.
«Oh, tatsächlich?»
«Ja. Deine Uhr ist fertig.»
«Ich gehe sie gleich morgen früh holen.»
Nicole hörte, wie er hinter sie trat. Es gab keinen Juwelier. Es gab keine Uhr.
Sie drehte sich um.
Jakab stand vor ihr, das Foto von Hannah in den Händen, und lachte.
Sie nahm die Cafetière vom Tresen und schleuderte ihm den Inhalt ins Gesicht. Kochender Kaffee überflutete sein Gesicht, und er schrie und stolperte rückwärts. Der Bilderrahmen fiel ihm aus den Händen und landete auf dem Fliesenboden, wo er klirrend zersprang.
«Hast du eine Ahnung, wie weh das tut?», brüllte er. Als er sich aufrichtete, sah sie, dass seine Gesichtsfarbe ein helles, verbrühtes Rot war. Kaffee tropfte ihm vom Kinn. Er lachte wieder, wie irre diesmal. «Aber es macht einen wach, wie? Das ist es doch, was sie über guten Kaffee sagen? Er gibt dir einen Kick, macht dich wach.»
Nicole riss ein Sabatier-Messer aus dem Block. Dabei kippte der Holzblock und fiel vom Tresen. Die Messer landeten klappernd auf dem Boden. Sie sprang vor und stieß nach ihm. Er war schnell – viel zu schnell – und schützte sein Gesicht mit dem Arm. Die Klinge glitt durch das Gewebe seiner Jacke. Blut spritzte.
Nicole sprang vor, entschlossen, ihm das Messer ins Gesicht zu rammen. Er wich aus. Bevor sie das Messer weit genug zurückziehen konnte, um ein zweites Mal zuzustoßen, rutschte sie auf dem nassen Boden aus. Sie kippte hintenüber und krachte im Fallen mit dem Kopf gegen den Tresen.
Sie lag auf den Fliesen, alle viere ausgestreckt, und spürte, wie der heiße Kaffee ihre Beine verbrannte. Der Aufprall hatte sie halb betäubt, und der Schock war so stark, dass sie sich nicht bewegen konnte. Sie sah an sich hinunter und stellte fest, dass ihr Morgenmantel vorne aufklaffte und sie in ihrer ganzen Nacktheit dalag. Sie stöhnte vor Entsetzen auf.
Jakab riss ein Handtuch von der Rückenlehne eines Stuhls und wischte sich damit das Gesicht. Die roten Flecken verblassten bereits wieder. Er schleuderte das Handtuch beiseite und untersuchte den Schnitt in seiner Jacke. «Oh, du gottverdammtes Miststück! Sieh dir an, was du getan hast! Ernsthaft, Nicole, sieh es dir an! Weißt du überhaupt, wie gerne ich diese Jacke hatte? Ich habe Charles letzte Woche etwas Ähnliches tragen sehen und überall danach gesucht.»
Links von ihr lag ein kleines Filetiermesser knapp in Reichweite. Sie streckte die Finger danach aus.
Jakab ging vor ihr auf und ab, während er die Hände an die Seiten seines Kopfes presste. «Beruhige dich, Jakab, beruhige dich», sagte er immer wieder. «Es ist nicht zu spät, nein, es ist nicht zu spät. Du musst retten, was zu retten ist.
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