Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
Vom Netzwerk:
Ablenkung waren und ein Ärgernis. Und was die Verabredung zum Essen betraf: Eine Tüte Schinken-Chips im Eagle and Child war so ziemlich das Einzige, was Beckett jemals vorgeschlagen hatte.
    Charles starrte auf den Buchrücken von
Legacy of the Germanic Peoples
im Regal gegenüber. Das einzige Exemplar, das Nicole nicht außer sich vor Wut zerrissen hatte. Gleich daneben stand das viel dünnere
Journal of European Folklore and Mythology
mit seinem Artikel darin,
Hosszú életek: Geburt und Tod einer ungarischen Legende
.
    War es möglich, dass er in einer Orgie der Eitelkeit ein Monster geweckt hatte? Bestand die Möglichkeit, dass alles, was Hans Fischer und Anna Bauer jemals in ihre Tagebücher geschrieben hatten, der Wahrheit entsprach? Hatte Erna Novák ihr Leben tatsächlich durch den
Merénylő
eines
Főnök
verloren?
    Sein Kopf pochte. Er leerte sein Glas und schenkte sich einen weiteren Whisky ein.
     
    Das war neun Stunden her. Jetzt parkte er den Wagen in einer ruhigen Straße ein paar Hundert Meter von Becketts Wohnung entfernt, schaltete den Motor aus und löste seinen Sicherheitsgurt. Er betrachtete sich im Rückspiegel. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Folge von zu viel Whisky und einer schlaflosen Nacht. Auf seinen Wangen zeigte sich ein Stoppelbart. Es war das erste Mal seit Jahren, dass er sich nicht rasiert hatte.
    Neben ihm auf dem Beifahrersitz lag eine große Ledertasche. Hatte er wirklich vor, das zu tun?
    Allerdings. Er musste es wissen. Er schuldete es Nicole. Herrgott, er schuldete ihr
alles
, sollte sich sein ungeheuerlicher Verdacht als richtig erweisen.
    Er öffnete die Tasche, nahm eine Metallbox hervor und legte sie in seinen Schoß. Er öffnete die beiden Schnappverschlüsse und hob den Deckel. Gepolstert und mit Stoffstreifen gesichert, lag darin die Pistole seines Vaters. Es war eine Luger  08 , die er gegen Ende des Krieges einem Wehrmachtsoffizier in Berlin abgenommen hatte. Charles hatte keine Munition für die Waffe, aber das konnte Beckett – beziehungsweise das Ding, das sich als Beckett ausgab – nicht wissen.
    Er erschauerte. Wie einfach es doch plötzlich war zu glauben. Wie erschreckend, furchteinflößend. Er schob die Pistole in seine Manteltasche, öffnete die Wagentür und stieg aus.
    Becketts Wohnung befand sich in einem großen viktorianischen Reihenhaus, einer ehemaligen Stadtvilla. Am Straßenrand reihte sich ein Auto an das nächste. Charles ging über den Bürgersteig, den Kopf eingezogen wegen des leichten Nieselregens. Er stieg die Stufen zur Eingangstür hinauf, sammelte sich und klingelte. Eine Minute später hörte er Schritte auf der Treppe, und ein Schatten tauchte hinter der Scheibe auf.
    Die Tür wurde geöffnet, und Beckett streckte den Kopf heraus. Als er Charles erblickte, grinste er erfreut. «Charles! Was für eine Überraschung! Gerade habe ich an Sie gedacht. Was für ein Zufall!»
    «Hallo, Patrick.»
    «Na, bleiben Sie nicht draußen im Regen stehen! Herein mit Ihnen, nur herein!»
    Beckett öffnete die Tür ganz, und Charles stieg über einen Haufen Pizza-Flyer und betrat den gefliesten Flur. An einer Seite standen zwei alte Fahrräder, an eine gusseiserne Heizung gelehnt. Daneben ein nasser aufgespannter Schirm.
    Charles folgte Beckett die Treppe hinauf in seine Wohnung. Es roch nach Staub und Katzenklo. In der Diele lag ein alter Läufer auf einem noch älteren Teppichboden. Der Raum war vollgestellt mit Bücherregalen. Als der Platz nicht mehr gereicht hatte, war Beckett dazu übergegangen, die Bücher in schiefen Stapeln auf dem Boden abzulegen.
    Beckett ging voraus, und Charles folgte ihm.
    Eine Stehlampe in der Ecke tauchte den Raum in warmes Licht. Beckett ließ sich in einen Lehnsessel fallen und deutete auf eine Couch mit einer Überwurfdecke. Charles nahm darauf Platz. Er spürte, wie die Federn unter seinem Gewicht nachgaben.
    Auch hier lagen überall Stapel von Büchern. Über dem Kamin ein Stadtplan vom Oxford des achtzehnten Jahrhunderts. Auf dem Kaminsims eine gerahmte Sepia-Fotografie von Becketts Mutter. Daneben auf einem Holzgestell ein Gurkha-Messer. An einem Beistelltisch mit einem alten Schwarzweißfernseher lehnte ein Einrad. Unter dem Tisch lagen drei bunte Jonglierkegel mit einer dichten Staubschicht darauf.
    Beckett stieß einen erschrockenen Laut aus und sprang auf. «Verzeihen Sie, Charles! Sie kommen zu mir nach Hause, und ich beherzige nicht einmal die einfachsten Regeln der Gastfreundschaft!» Er rieb

Weitere Kostenlose Bücher