Der Bann (German Edition)
plötzlich spürte sie eine Lanze aus Schmerz in ihrem Kopf.
«Es tut nicht lange weh», sagte er zu ihr. «Das war schon alles. Entspann dich.»
Sie spürte, wie ihr Herz in der Brust loshämmerte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte. Ihr Unterkiefer fiel herab, sie ächzte, spürte, wie ihr Blut anfing zu kochen. Unerträglicher Druck staute sich in ihrer Kehle, in ihrem Kopf. Ihr Schädel fühlte sich an, als würde er sich nach außen wölben. Ihre Ohren knackten.
Dann, ganz plötzlich, spürte sie, wie in ihrem linken Auge etwas zerbarst. Sie blinzelte durch eine Woge aus Rot. Sie öffnete den Mund, wollte schreien.
Jakab legte den Kopf zur Seite, während er sie beobachtete. «Das ist immer der faszinierendste Teil, finde ich.
Wo
gehst du hin?»
Charles parkte den Wagen auf der Straße vor dem Haus, schaltete den Motor aus und löste den Sicherheitsgurt. Er rieb sich das Gesicht und starrte auf den Schweiß, der auf seinen Fingern glänzte. Eine Frage wiederholte sich endlos in seinem Kopf.
Was hast du getan?
Der Mann, den er zuvor besucht hatte, war ohne jeden Zweifel Beckett. Woraus folgte, dass die Kreatur, mit der er sich am Vortag im Botanischen Garten getroffen hatte, nicht Beckett gewesen war. Sie hatten identisch ausgesehen, identisch geklungen, sich identisch verhalten. Doch der Doppelgänger, der ihm das königliche Dekret gezeigt hatte, hatte sich im Stillen an Charles’ Unbehagen geweidet. Hatte ihn mit den Augen verhöhnt.
Charles starrte auf sein Haus, das Heim, das er in den vergangenen zwölf Jahren mit Nicole geteilt hatte. Was sollten sie jetzt tun? Die Erfahrungen jener, die diesen Pfad bereits beschritten hatten, ließen vermuten, dass es nur eine Option gab: Flucht. Auf der Stelle. Das Notwendigste zusammenpacken, die wenigen kostbaren, unersetzlichen Sachen – Briefe, Fotografien. Nicole finden. Hannah aus der Schule abholen. Weggehen.
Was hast du getan?
Er wusste, wo ihre Pässe lagen, wusste, wo die wichtigen Dokumente aufbewahrt wurden. Er hatte ungefähr eintausend Pfund in Bargeld im Haus. Genug für die unmittelbaren Bedürfnisse. Er konnte schnell weiteres Geld besorgen.
Ein Schatten bewegte sich hinter der Milchglasscheibe der Eingangstür. Instinktiv duckte sich Charles auf den Beifahrersitz. Er hob den Kopf und sah einen identischen Charles Meredith auf die Straße treten.
«Oh mein Gott, nein!»
Die Kreatur trug seinen blauen Lieblingspullover. Sie schloss hinter sich die Tür und ging zur Straße.
Charles rollte sich vom Sitz und verbarg sich im Fußraum. Er bemerkte, dass er unkontrollierbar zitterte. Er wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, doch als er sich wieder nach oben wagte und suchend die Straße hinauf- und hinunterblickte, war sein Doppelgänger verschwunden. Charles stieg aus dem Wagen. Er spürte, wie sich seine Kiefer bewegten und wie seine Zähne im Mund klapperten.
Im Flur rief er den Namen seiner Frau. Sämtliche Lichter brannten. Er durchquerte den Flur bis zur Küche, und ihm fiel auf, dass viele der Bilder an den Wänden verschwunden waren. Flecken auf der Tapete kündeten von ihrem Fehlen.
Er öffnete die Tür zur Küche und fand am Boden eine große Lache von etwas, das aussah wie Kaffee. Personen waren hindurchgelaufen oder darin ausgerutscht und hatten Spuren hinterlassen. In einer Ecke lag ein leerer Messerblock. In einer anderen die dazugehörigen Messer. Auf der Arbeitsfläche ein blutiges Geschirrhandtuch. Auf dem Küchentisch sah er eine Ansammlung Bilderrahmen, aufgestellt mit dem Rücken zu ihm.
Auf einem Stuhl, das Gesicht zu ihm gewandt, saß Nicole.
Charles schloss hinter sich die Tür. Das Telefon hing an der Wand neben dem Kühlschrank. Auf einer Korktafel darüber befand sich eine Liste mit sämtlichen wichtigen Nummern. Nicole hatte sie für ihn aufgehängt, weil er ständig irgendwelche Dinge verlegte. Charles starrte auf die Liste und suchte nach der benötigten Nummer. Dann nahm er den Hörer und wählte.
Eine Frau nahm ab.
Charles räusperte sich und erklärte der Frau, dass er mit Hannah Meredith sprechen müsse, dass er ihr Vater wäre und dass es dringend sei. Die Frau lauschte geduldig und stellte ihn schließlich in eine Warteschleife, während jemand losgeschickt wurde, um seine Tochter aus ihrer Klasse zu holen.
Aus der Frühstücksecke beobachtete ihn seine tote Frau. Sie sah aus, als hätte sie ganz am Ende Tränen aus Blut geweint. Ihr linkes Auge war geschlossen. Blutstropfen quollen
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