Der Bann (German Edition)
Sägemehl, altem Motoröl und den sterilen Ausdünstungen eines neuen Automobils. Der verchromte Kühlergrill des Jeeps glänzte im Schatten wie ein Haifischmaul voller Zähne.
Hannah warf einen Blick über die Schulter, kontrollierte die Wege, den Vorplatz. Niemand zu sehen. Kein Eleni im Obstgarten, im Wald, nirgendwo. Der Hubschrauber war ebenfalls verschwunden.
Sie huschte in den Schuppen und zwängte sich in den schmalen Spalt zwischen Wagen und Wand. Als sie sich am Außenspiegel entlangschob, griff etwas nach ihr. Sie schrie auf, zuckte zurück, stieß sich den Ellbogen, schrammte sich die Knöchel auf.
Spinnweben. Nur Spinnweben, die sich in ihrem Haar verfangen hatten. Sie verfluchte ihre Schreckhaftigkeit und zupfte sich die Gespinste aus dem Gesicht und den Haaren. Dann schob sie sich bis zur Fahrertür und legte die Hand auf den Griff. Ihr Herz hämmerte wild. Sie spürte es in ihrer Brust.
Bitte, sei nicht abgeschlossen. Bitte.
Sie hatte erst am Morgen mit Sebastien darüber gesprochen, dass sie den Jeep einsatzbereit halten wollten für den Fall, dass sie schnell von Le Moulin Bellerose verschwinden mussten. Aber hatte er daran gedacht? Sie zog am Griff und betete.
Als das Schloss klickte und die Tür aufschwang, hätte Hannah vor Erleichterung beinahe einen Schrei ausgestoßen. Sie kletterte hinter das Steuer und zog die Tür zu. Stille. Der Geruch von Tannennadel-Lufterfrischer. Etwas baumelte neben ihrer Hand, kalt und metallisch.
Die Schlüssel.
Sie drehte den Zündschlüssel, legte den Gang ein und trat aufs Gaspedal. Der mächtige Dreiliter-Diesel hustete sich frei. Als der Wagen durch das morsche Tor brach, wurde Hannah in ihrem Sitz vor- und zurückgeschleudert. Holzsplitter regneten auf den Weg. Sie riss das Steuer herum und wich haarscharf der Hausecke aus, dann lenkte sie sofort wieder in die entgegengesetzte Richtung. Der Wagen schleuderte herum, sie trat auf die Bremse und blieb vor dem Haus stehen. Der Motor brummte im Leerlauf.
Sie spielte mit dem Gaspedal, während ihre Blicke suchend nach rechts und links gingen.
Welchen Weg hast du genommen, verdammter Bastard? Wohin hast du meine Tochter gebracht?
Er hatte nur eine einzige sinnvolle Option. Knapp fünfundzwanzig Kilometer nördlich gab es eine Auffahrt auf die E 70 , die sich durch ganz Südfrankreich zog. Von dort aus konnte Jakab eine ganze Reihe von Flughäfen erreichen. Oder er blieb einfach auf der Autobahn. In westlicher Richtung führte sie nach Spanien. Im Osten führte sie durch Italien, Slowenien, Kroatien, Serbien und Bulgarien bis nach Rumänien auf der anderen Seite der Donau.
Hannah wusste, dass ihr höchstens noch ein paar Minuten blieben, um zu handeln. Ein dunkler Abgrund raste hinter ihr heran. Wenn sie nicht schneller war als er, wenn sie in Panik geriet, war Leah verloren. Vielleicht war es schon zu spät, vielleicht hatte sie bereits versagt. Sie schrie voller Frustration und Ärger und Hass und Sorge auf.
Vorhin hatten Vass’ Handlanger die Zufahrt zur Hauptstraße bewacht. Keiner von ihnen war in Sicht, doch sie würde das Risiko nicht eingehen. Der Weg durch den Wald folgte dem Verlauf des Flusses und führte an der Mühle vorbei, um dahinter in die Hauptstraße zu münden. Das war der bessere Weg. Wenn sie auch nur eine Minute aufgehalten wurde, verschaffte das Jakab möglicherweise den Vorsprung, den er brauchte.
Sie rammte das Gaspedal auf das Bodenblech und packte das Steuer fester, als der Jeep einen Satz nach vorn machte. Als sie in den zugewachsenen Feldweg einbog, hüpfte der Wagen so stark, dass sie beinahe aus dem Sitz geschleudert worden wäre. Hannah jagte den Wagen so schnell über die unebene Piste, wie es nur möglich war. Ein weiteres Schlagloch riss sie erneut aus dem Sitz. Sie schob den Arm durch den Sicherheitsgurt und versuchte, sich anzuschnallen.
Die Reifen warfen Dreckklumpen auf, als der Jeep den Anstieg hinaufjagte, der zwischen die Bäume führte. Sekunden später war sie im tiefen Schatten. Efeu und Farnkraut brachen und zerrissen. Die Reifen schredderten totes Laub.
Voraus war eine enge Biegung. Hannah wagte nicht langsamer zu werden. Wagte nicht zu zögern. Wie ein wildes Biest krallte der Jeep sich an den Boden, als er schlitternd und spuckend die Biegung nahm. Das Lenkrad in ihren Händen bockte und wollte sich drehen, doch sie ließ nicht locker. Das Heck verlor die Bodenhaftung und geriet ins Rutschen. Die rechte Seite des Jeeps krachte gegen einen Baumstumpf.
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