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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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Händen rieb sich Hannah über das Gesicht. Ihre Haut fühlte sich zugleich rau und taub an, ein eigenartiges sensorisches Gemisch. Sie drehte sich zu dem zerstörten Audi um, starrte die emaillierte Drachenschuppe auf dem Armaturenbrett an, dachte an all das, was sie darstellte.
    Und plötzlich, während sie auf das kleine emaillierte Ding sah, fühlte sie sich, als wäre irgendwo tief in ihrem Innern ein Stecker gezogen worden, und all ihre Emotionen, ihre Angst und ihre Wut und ihre Schuld und ihr Hass schossen davon, flossen aus ihr heraus wie Gift aus einem Abszess. Was blieb, war die Klarheit eines einzigen Gedankens.
    Sie musste Balázs Jakab töten – oder bei dem Versuch sterben. Und sie musste es heute tun. Jetzt.
    Such dir eine Waffe. Egal, was. Du musst improvisieren. Du kannst Leah nicht helfen, wenn du unvorbereitet da reingehst. Du hast nur eine Chance. Eine einzige letzte Gelegenheit. Für Leah. Für Nate. Für alle, die durch Jakabs Hand gestorben sind.
    Mit katzenhafter Geschmeidigkeit rannte sie zurück zu dem Jeep und riss die Beifahrertür auf. Im Handschuhfach lagen die Bedienungsanleitung, die Papiere der Mietwagenfirma, eine Karte von Südfrankreich, eine Sicherungsmutter in einem durchsichtigen Plastikbeutel. Das half ihr nicht weiter.
    Sie schob die Hand in die Türablage. Leer. Kletterte auf den Beifahrersitz, beugte sich über die Mittelkonsole und kontrollierte die Ablage auf der Fahrerseite. Ihre Finger berührten Stoff. Sie zog ihn heraus und sah, dass es Sebastiens Erste-Hilfe-Päckchen war – dasselbe, das er in Llyn Gwyr benutzt hatte, um Nate zu versorgen. Hannah legte es auf den Sitz und rollte es auseinander. Antiseptische Tücher, Schmerzmittel, Schere, Brandpflaster. In einem separaten Fach fand sie ein chirurgisches Skalpell mit Ersatzklingen in steriler Verpackung. Weitere Fächer enthielten einen Trachealtubus, chirurgischen Faden, eine Auswahl an Spritzen und eine kleine Stableuchte.
    Sie steckte Skalpell und Lampe ein, rollte das Päckchen zusammen und warf es auf den Rücksitz. Dann stieg sie aus, ging nach hinten, öffnete die Heckklappe und spähte hinein. Eine gefaltete Plane, zwei Decken, ein Fünf-Liter-Reservekanister, zwei Kisten aus Pappe. Sie kramte durch die erste und fand eine Angelleine, einen Beutel mit trockenem Hundefutter und zwei Thermoskannen. Die zweite enthielt einen zweiflammigen Gaskocher, Gaskartuschen, eine Schachtel Allwetter-Streichhölzer, ein Gasfeuerzeug, mehrere Packungen gefriergetrockneter Fertignahrung.
    Gott sei mit dir, Sebastien. Du hast an alles gedacht.
    Hannah packte den Benzinkanister. Er war voll. Sie steckte das Gasfeuerzeug ein und wollte sich abwenden, doch dann öffnete sie die Streichholzschachtel, nahm eine Handvoll der rosafarbenen Hölzchen heraus und steckte sie in ihre Jeans.
    Du musst los. JETZT !
    Hannah umrundete den Jeep, den Benzinkanister in der Hand. Sie ließ die Bäume hinter sich und rannte durch das hohe, von Samen schwere Gras, das an ihren Beinen zupfte und sich in ihren Stiefeln verfing. Hoffentlich kam sie nicht zu spät. Sie fragte sich, was sie in der Mühle erwartete.
    Das Land fiel zur Mühle und zum Fluss hin leicht ab. Sonnenlicht glänzte und glitzerte auf dem kühlen blauen Wasser.
    Der Mühlgraben war ein schmaler Kanal, aus dem Wasser in ein Reservoir floss, welches das Mühlrad speiste. Der Wasserschieber war geschlossen. Hannah hörte das Rauschen des Überlaufs, der sich über ein gestuftes Wehr zurück in den Fluss ergoss. Sie stolperte über einen Stein im Gras und verdrehte sich fast den Knöchel. Der Benzinkanister knallte gegen ihr Bein. Sie stolperte weiter.
    Die Mühle, drei Stockwerke aus Naturstein und Ziegel, stand auf einem felsigen Vorsprung, der in den Fluss ragte. Das steile Dach hing durch, wo sich die alten Balken unter den Schindeln durchgebogen und verzogen hatten. An der Nordseite wuchs Moos. Die Fenster waren schwarze Löcher, die keinen Blick ins Innere gestatteten.
    Das Mühlrad hing überm Fluss wie ein dunkles, unheimliches Gebilde aus einem Freizeitpark. Ein monströser gusseiserner Rahmen von zehn Metern Durchmesser hielt die Schaufeln aus Holz. Weil der Schieber geschlossen war, stand das Rad still. Die oberen Schaufeln waren von der Sonne getrocknet und von toten Algen überwachsen. Die Schaufeln am Wasser waren dunkel und von grünem Schleim überzogen.
    Eine mit einem Geländer versehene Holzplattform umlief den Fuß der Mühle, gestützt von Stelzen, wo sie

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