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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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dein Versprechen gebrochen und warum du zugelassen hast, dass dies hier passiert ist.
    Hannah wandte sich ab. Spähte zwischen den Bäumen hindurch. Blinzelte aus geröteten Augen voller Tränen und verlorener Hoffnung. Leah war nirgendwo zu sehen. Niemand war zu sehen.
    Also drehte sie sich wieder zu dem Wrack um – und entdeckte die kleine emaillierte Schuppe von der Drachenbrosche. Sie glitzerte, ein rundes, rotes Objekt, eingefasst in Gold, tief eingedrückt in das Plastik des Armaturenbretts. Hannah spürte, wie ihre Brust anschwoll, wie sich ihre Kehle zuzog, bis sie mit kalter Logik die Hoffnung erstickte, die sich kurz an die Oberfläche gedrängt hatte.
    Dass die emaillierte Schuppe von Leah stammte, daran zweifelte sie nicht. Doch es gab nicht den geringsten Hinweis, dass sie die Schuppe
nach dem Unfall
in das Armaturenbrett gedrückt hatte.
    Glaube.
    Was für eine einfache Vorstellung. So schwierig umzusetzen, so monumental schwierig nach allem, was geschehen war, nach all den Träumen, die sich nicht erfüllt hatten.
    Glaube.
    Sie würde nach ihrer Tochter suchen, bis sie ihren letzten Atemzug tat. Und sie würde diesen letzten Atemzug nicht tun, bevor sie nicht Balázs Jakab vernichtet hatte, endgültig und ein für alle Mal, bis er nur noch eine dunkle Erinnerung war, ein schmutziger Fleck, den die Zeit ausbleichen würde.
    Und wenn Leah tatsächlich tot sein sollte und wenn sie Jakab getötet hatte, was dann? Was würde sie dann tun? Was konnte sie noch tun, wenn ihr der letzte Mensch auf der Welt, den sie geliebt hatte, genommen worden war? Welche Wahl hätte sie dann?
    Du weißt, was du tun wirst. Selbst jetzt denkst du daran. Selbst jetzt. Schön, niemand kann es dir verdenken, niemand wird es dir verdenken, wahrscheinlich kümmert es niemanden. Du hast jeden enttäuscht, der dir je etwas wert war.
    Doch was immer auch hinterher geschieht, versäume nicht deine Verabredung mit Jakab. Die Waage muss ins Gleichgewicht gebracht werden.
    Hannah trat zurück von dem brennenden Wrack, wandte sich ab vom Gestank und vom Qualm und vom Prasseln und Knistern des Feuers. Ein paar Meter weiter endete der Wald, und der Weg führte über freies Land. Sonnenlicht glänzte auf braunem Gras, und eine Brise ließ die Halme wogen. Im Süden verlief der Fluss und ein Stück davor der Mühlbach, ein künstlicher Kanal, der von der Vézère abzweigte und dessen Wasser das Mühlrad antrieb.
    Und dort, halb im Sonnenlicht und halb im Schatten, stand die Mühle selbst, ein altes, vom Alter verzogenes dreistöckiges Gebäude aus Fachwerk mit dicken Balken und roten Ziegeln. Le Moulin Bellerose.
    Sie stand halb hinter Bäumen verborgen. Die oberen Fenster blickten nackt und leer und zeugten von Alter und Verfall. Von Ruin und Niedergang, von der Unausweichlichkeit des Verlusts und der Vergeblichkeit aller Hoffnung.
    Nate hatte das Dach repariert, um das Gebäude einigermaßen wetterfest zu machen, und er hatte sämtliche Fenster bis auf eines erneuert. Eine offene Luke war geblieben, das Sims über und über bedeckt von Guano, als Zugang für die Zwergfledermäuse, die in den staubigen Dachsparren der Mühle ihren Schlafplatz hatten.
    Ein Geräusch hallte durch das verlassene Bauwerk, echote von den Wänden wider und drang aus der Luke ins Freie.
    Das Geräusch eines schreienden kleinen Mädchens.

Kapitel 27
    Region Aquitaine, Frankreich
    Heute
    D ie Wucht widerstreitender Gefühle beim Klang von Leahs Stimme drohte Hannah zu überwältigen. Ihr Herz verkrampfte sich. Ihr Verstand rang mit der beinahe unerträglichen Erleichterung, dass Leah so nah war, und dem damit verbundenen Entsetzen, dass Hannah selbst jetzt noch zu weit entfernt, zu spät, zu schwach war. Die unbeschreibliche Angst in diesen Schreien entfachte eine so intensive, animalische, alles verschlingende Wut in ihr, dass sie am ganzen Leib zitterte. Ihre Zähne mahlten aufeinander, und ihre Augen fühlten sich an, als würden sie im nächsten Moment aus den Höhlen springen. Schauer fuhren über ihre Haut, und die kleinen Härchen richteten sich auf. In ihren Ohren rauschte es, und in ihrem Mund schmeckte es nach Blut. In ihrer Nase war der Gestank von brennendem Gummi und Plastik und Öl.
    Sie hatte keine Waffe. Keine Pistole, kein Messer, nichts. Bei ihrer Flucht aus dem Haus hatte sie nicht einmal lange genug innegehalten, um irgendetwas zu packen – einen Knüppel, ein Beil, ein Messer –, womit sie Jakab gegenübertreten konnte.
    Mit zitternden

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