Der Barbar aus den Highlands
einen kurzen Blick auf Fergus. Er saß ihr gegenüber, obwohl er als ihr Verlobter eigentlich neben ihr hätte sitzen müssen, und musterte finster den Mann zu ihrer Rechten, dem es gelungen war, ihn von seinem rechtmäßigen Platz zu verdrängen. Sie hatte das dunkle Gefühl, dass Sir Artan auch deshalb neben ihr saß, weil Sir Fergus zu feige gewesen war, auf seinem Recht zu beharren. Alles war passiert, ohne dass auch nur ein einziges Wort gefallen war. Offenbar besaß ihr Verlobter nicht nur kein Kinn, sondern auch kein Rückgrat.
Möglichst verstohlen spähte Cecily auf den Mann neben sich, der ihr gerade ein sorgfältig ausgesuchtes Stück Gänsebraten auf den Teller legte. Für einen solch drahtigen Mann beanspruchte er ziemlich viel Platz. Jedes Mal, wenn sein muskulöser Oberschenkel sie streifte, rutschte sie ein Stückchen von ihm ab. Mittlerweile saß sie auf der äußersten Kante der Bank, doch sein Schenkel presste sich schon wieder an sie. Einen Moment lang überlegte Cecily, ob sie den Druck erwidern sollte, um herauszufinden, ob er dann von ihr abrückte, doch dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er keinen Millimeter weichen und sie dann schließlich nur noch auf seinem Schoß Platz finden würde. Warum der Gedanke, auf Sir Artans Schoß zu sitzen, eine derartige Wärme in ihr auslöste, wusste sie freilich nicht. Fühlte sich so die Versuchung an? Sie beschloss, ihre Aufmerksamkeit lieber der immensen Menge Essen zuzuwenden, die der Mann ihr aufgetan hatte.
»Langt zu, Mädchen«, forderte Artan sie auf. »Ihr werdet viel Kraft brauchen.«
Cecily fragte sich, was er damit meinte, während sie hastig einen Happen Fleisch zerkaute. Nun empfand sie die Haufen auf ihrem Teller als Beleidigung. Sie wusste, dass sie nicht sehr groß war, aber sie war auch nicht klein und schwach.
»Warum glaubt Ihr, dass ich meine Kraft aufbauen sollte?«
»Die Feierlichkeiten werden Euch mindestens zwei Wochen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in Anspruch nehmen, nicht zu vergessen die Hochzeit und die Hochzeitsnacht.«
Die Hochzeitsnacht, dachte Cecily und krümmte sich. Sie hatte sich die größte Mühe gegeben, möglichst nicht daran zu denken, und war Sir Artan alles andere als dankbar, dass er sie jetzt erinnerte. Verzweifelt versuchte sie, auf andere Gedanken zu kommen, nur um wieder in den tröstlichen Zustand seliger Unwissenheit verfallen zu können.
»Liegt mein Onkel wirklich im Sterben?«, fragte sie und übersah beflissen den wissenden Blick, den sie von ihm erntete.
»Er ist krank, und er hat schon gut sechzig Jahre auf dem Buckel.«
Cecily verzog das Gesicht und fragte sich, warum ihr bei dieser Bemerkung die Tränen in die Augen stiegen. Sie hatte ihren Onkel seit vielen Jahren nicht mehr gesehen und nichts von ihm gehört; offenbar wollte er nichts mehr mit ihr zu schaffen haben. Im Lauf der Zeit hatte sie nach Kräften versucht, sich einzureden, dass es keine Rolle spielte und nichts anderes zu erwarten wäre, weil sie kein Mann war und deshalb auch nicht sein Erbe antreten konnte. Doch nun bekümmerte es sie aufrichtig, dass ihr Onkel womöglich bald sterben und sie ihn nicht mehr sehen würde.
»Es ist ganz natürlich, dass ein Mann am Ende seines Lebens gern die Menschen, die er liebt, in seiner Nähe haben möchte«, murmelte Artan, der gemerkt hatte, wie aufgewühlt sie war. Vielleicht konnte er dieses Gefühl ausnutzen und sie überreden, Dunburn möglichst bald und freiwillig zu verlassen.
»Menschen, die er liebt?«, fragte sie so verbittert und zornig, dass selbst sie beim Klang ihrer Stimme zusammenzuckte. »Ich gehöre ganz offenkundig nicht dazu. Wenn es anders wäre, hätte er mir geschrieben oder mich einmal besucht.«
»Und warum seid Ihr Euch so sicher, dass er Euch nicht geschrieben hat?«
»Weil ich nie auch nur ein paar Zeilen von ihm erhalten habe. Kein Wort.«
Artan spürte die tiefe Kränkung in ihren scharfen Worten. Das machte ihm die Sache natürlich nicht leichter. Solange er keinen Beweis hatte, einen handfesten Beweis, dass ihre Pflegeeltern sie von Angus ferngehalten hatten, würde es sehr schwer sein, Cecily aus deren Griff zu befreien. Doch wie sollte er an solch einen Beweis kommen? Andererseits würde ihm die Suche danach immerhin etwas zu tun geben, solange er in Dunburn war.
»Schon merkwürdig«, murmelte er. »Ich weiß nämlich ganz genau, dass er es versucht hat.«
»Mir zu schreiben oder mich zu
Weitere Kostenlose Bücher