Der Baron und die widerspenstige Schöne
Liebsten hier zu lustwandeln“, sagte Carlotta in rebellischer Stimmung, doch da sie ihre Worte nur sehr leise äußerte, konnte Mr. Woollatt sie nicht hören und nahm keinen Anstoß daran. Sie schämte sich ob ihrer Feigheit. Warum hatte sie es nicht gewagt, laut zu werden? Ein solch vulgäres Benehmen würde er sicherlich abstoßend finden, und sie wäre ihn los. Ihre gute Erziehung machte ihr ein solch undamenhaftes Benehmen indes schlicht unmöglich. Als sie auf einen schmaleren Weg abbogen, kam ihnen eine vertraute Gestalt entgegen, die sie dank der Lampen bereits aus der Ferne erkannte. Arm in Arm spazierte Luke mit einer Frau durch den Garten. Mit einem abschätzigen Blick nahm Carlotta ihre üppig zur Schau gestellten Reize wahr, die schwarzen Locken, geschminkten Wangen und karmesinroten Lippen. Verächtlich verzog sie den Mund, als sie sah, wie die Frau sich an ihren Begleiter hängte und laut über etwas lachte, das er gesagt hatte. Das Paar näherte sich ihnen, und Carlotta beschloss, so zu tun, als hätte sie ihn nicht gesehen. Sie rückte ein wenig näher an Mr. Woollatt heran.
„Finden Sie es hier unter den Bäumen nicht auch sehr romantisch?“, fragte sie. Sie wusste, dass Luke und die Kokotte nur noch wenige Schritte entfernt waren. Daher hielt sie den Blick unverwandt auf ihren Begleiter gerichtet.
Mr. Woollatt schaute sie erschrocken an. „Bitte um Pardon, Madam, wie … wie meinen Sie?“
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Luke und seine Begleiterin sie gleich erreicht hatten. Zweifellos hatte er sie bemerkt. Sie schmiegte sich noch näher an Mr. Woollatt.
„Das ist ein solch romantischer Ort. Die bunten Lichter, der Wind, der in den Bäumen flüstert.“ Sie seufzte theatralisch. „Da möchte man doch am liebsten singen oder ein Gedicht schreiben.“
Der Gedanke an Mr. Woollatt, der ihr Gedichte vortrug, brachte sie beinahe zum Lachen, doch sie behielt ihre seelenvolle Miene bei. Ihre Mühen hatten sich gelohnt, denn sie sah, wie Luke sich beim Vorübergehen stirnrunzelnd nach ihnen umblickte.
„Ich … äh … ich habe darüber noch nie nachgedacht“, entgegnete Mr. Woollatt. „Nun aber, da sie davon sprechen, kann ich verstehen, dass manch einer diese bunten Lichter anregend finden würde.“ Er schenkte ihr ein Lächeln. „Ich wusste nicht, welch empfindsame Person Sie sind, Miss Rivington.“
Da Luke mittlerweile außer Sicht war, wollte sich Carlotta von Mr. Woollatt lösen, doch er hielt ihren Arm fest.
„Wie recht Sie haben, meine Liebe. Die illuminierten Wege bergen tatsächlich einen besonderen Zauber.“ Er nickte bedächtig. „Ja, ich glaube, Sie lassen mein Herz schneller schlagen, Miss Rivington, ich … oh …“ Er hielt abrupt inne, ließ sie los und fasste sich mit der Hand an die Brust.
„Mr. Woollatt, ist Ihnen nicht wohl?“ Carlotta blickte ihn besorgt an. Er hatte sich nach vorne gebeugt, und sein Gesicht war von Schmerz verzerrt. Eine Ader auf seiner rechten Schläfe wölbte sich beunruhigend hervor.
„Ich … kann … kaum Atem schöpfen“, keuchte er.
Carlotta schaute sich um, inbrünstig wünschend, ihre Tante oder ein anderer Bekannter wäre in der Nähe. Doch es war niemand zu sehen. „Sie müssen sich setzen, Mr. Woollatt.“ Ihn am Arm stützend führte sie ihn zur nächsten Nische und war erleichtert, diese verlassen vorzufinden. „Kommen Sie, Sir, nehmen Sie einen Augenblick auf der Bank in dieser Laube Platz.“
Mühsam steuerte Mr. Woollatt auf die rustikale Bank zu und ließ sich schwer atmend darauf fallen. Verzweifelt zerrte er an seinem Kragen.
„Zu eng“, keuchte er.
Carlotta streifte die Handschuhe ab und half ihm beim Lösen seines Krawattentuches. Es war zu dunkel, um etwas sehen zu können, doch schließlich gelang es ihr, das kunstvoll geschlungene Tuche zu öffnen und ihm das Hemd zu lockern. Sie schaute auf die Weste, die sich um seine Brust spannte.
„Ich bitte um Pardon, Sir, aber ich denke, ich sollte auch Ihre Weste aufknöpfen. Sie werden sich ohne einengende Kleidung sicher wohler fühlen.“
„Ja, vielen Dank, das ist wirklich besser“, murmelte er. Er zog die Weste aus und atmete tief ein. Sein Rüschenhemd blähte sich auf, das Weiß schimmerte blass im Dämmerlicht.
Carlotta nahm neben ihm auf der Bank Platz. Seine Brust hob und senkte sich, während er geräuschvoll nach Luft schnappte.
„Was soll ich tun, Sir?“, fragte sie besorgt. „Soll ich Hilfe holen?“
Er tätschelte ihre Hand. „Nein, das
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