Der Baron und die widerspenstige Schöne
muskulöse Brust. Wie betäubt starrte Carlotta auf die Diamantnadel in den Falten seines schneeweißen Krawattentuchs. Fast überwältigend war das Verlangen, sich einfach in seine Arme fallen zu lassen und in Tränen auszubrechen. Wütend über sich selbst warf sie den Kopf zurück und musterte ihn mit eiskaltem Blick.
Eine lange Weile sahen sie einander schweigend an. Das Dämmerlicht warf dunkle Schatten auf Lukes Gesicht. Nie hatte Carlotta ihn so finster blicken sehen. So nah standen sie beieinander, dass sie sein Herz schlagen spürte. Es schlug so schnell wie das ihre. Sie schalt sich ob des wohligen Prickelns, das sie in seiner Nähe verspürte. Die Situation erinnerte sie an ihren Tanz in Malberry. Damals jedoch hatte er sie angelächelt und liebkost. Nun aber sah sie keine Zuneigung mehr in seinen Augen, sondern nur noch unbändige Wut. Panik stieg in ihr auf, doch sie kämpfte tapfer dagegen an. Nein, sie würde nicht nachgeben.
„Lassen Sie mich sofort los“, zischte sie.
Indes erntete sie lediglich ein fast teuflisches Grinsen. „Warum? Lassen Sie sich nicht gern von einem Mann umarmen?“
„Nicht von Ihnen!“, gab sie bissig zurück.
Sein Griff wurde fester. Er senkte den Kopf und meinte leise: „Es gab eine Zeit, da hast du es genossen, weißt du das nicht mehr?“
Himmel, warum musste er sie daran erinnern! Carlotta versuchte, ihre widerstreitenden Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen, und blickte stattdessen auf seinen Mund. Doch sein Lächeln weckte in ihr die Erinnerung an seine Küsse, und das Verlangen, erneut einen Kuss von ihm geschenkt zu bekommen, überwältigte sie beinahe. Wenn er sie nicht bald losließ, würde sie ihm nachgeben. Oder schreien.
„In Malberry hielt ich dich für ein solch unschuldiges Geschöpf, Carlotta.“
Sie lachte bitter auf. „Sie haben selbst gesagt, ich hätte mich seitdem sehr verändert. Ich habe viel dazugelernt.“
Sein Blick streifte über den schlafenden Mr. Woollatt. „Genug, um sich einen reichen Gatten zu angeln?“
Sie rief sich wieder die hochnäsige Schülerin an der Akademie in Erinnerung und ahmte deren kühles, blasiertes Gebaren nach: „Oh ja, ich denke doch“, sagte sie kühl und musterte ihn herausfordernd.
Die Verachtung in seinen Augen schnitt wie ein Messer in ihre Brust. Abrupt trat er einen Schritt zurück. Wie gelähmt blieb Carlotta reglos stehen und rieb sich die schmerzenden Handgelenke.
„Warum sind Sie hierhergekommen?“, fragte sie.
Den Blick auf den Boden gerichtet, strich er sich über die Ärmel, als wolle er ihre Berührung wegwischen. „Ich kam an Ihrem Tisch vorbei und sah, dass Sie noch nicht zurückgekehrt waren. Ich habe mir Sorgen gemacht. Dumm von mir, nicht wahr?“
„Außerordentlich dumm. Und die … Dame in Ihrer Begleitung?“ Die Frage war ihr unwillkürlich entschlüpft.
„Nun, die Dame war, wie Sie sagen, nur eine Begleitung. Sie erhoffte sich ein paar Shilling von einem Gentleman, der allein durch die Gärten spazierte. Als sie bemerkte, dass ich unglücklicherweise kein Interesse an ihren Reizen hegte, hat sie sich auf die Suche nach lukrativerer Gesellschaft begeben. Sie schenkt ihren Körper dem Meistbietenden.“ Er hielt kurz inne. „Darin ist sie Ihnen übrigens sehr ähnlich.“
Diesmal hielt er sie nicht zurück, und ihre Hand klatschte mit solcher Wucht auf seine Wange, dass ihre Finger brannten.
Mit hoch erhobenem Kopf trat sie zurück. „Sie haben Ihre Meinung über mich sehr deutlich gemacht. Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“ Vor Wut zitternd kehrte sie ihm den Rücken.
„Wie bitte?“ Seine höhnische Stimme ließ sie zusammenzucken. „Mehr haben Sie mir nicht zu sagen? Wollen Sie sich nicht in Beschimpfungen meines Charakters ergehen, Miss Rivington?“
Sie schloss die Augen und kämpfte gegen die Tränen an. Ihre Schultern sackten nach vorne. Nur mit Mühe gelang es ihr, das Schluchzen in ihrer Stimme zu verbergen. „Leben Sie wohl, Lord Darvell.“
Er antwortete nicht. Einige Augenblicke später hörte sie knirschende Schritte, die sich hastig auf dem Kiespfad entfernten.
Carlotta ging zur Bank zurück. Mr. Woollatt lag immer noch in tiefem Schlummer. Niedergeschlagen stützte sie den Kopf in die Hände. Wie war es nur zu diesem Zwischenfall gekommen? Dass Luke sie wirklich für fähig hielt, sich zu … Sie erschauderte. In ihrem ganzen Leben hatte bisher nur ein Mann sie in seinen Armen gehalten, nur ein
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