Der Baron und die widerspenstige Schöne
die Gentlemen ihr mit ihrem kleinen Zwist machten, durchaus bewusst, und fühlte sich geschmeichelt. Sie nickte Mr. Woollatt zu, dann wandte sie sich mit entschuldigendem Lächeln an Sir Gilbert. „Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Sir.“
Er neigte den Kopf. „Madam, Sie könnten mich nie enttäuschen.“
Strahlend lächelte sie ihn an. Dieser Wortwechsel war eine erfrischende Abwechslung zu Mr. Woollatts langweiligen Vorträgen, und sie genoss die kleine Tändelei. Zudem konnte sie sich am Tisch unter den Fittichen ihrer Tante in Sicherheit wiegen. Erst Lukes missbilligender Blick versetzte ihrer guten Laune einen Dämpfer.
Wenige Minuten später verabschiedeten sich die Herren, um sich einen guten Platz bei Madame Saquis Vorstellung zu sichern.
Kopfschüttelnd sah Mr. Price ihnen nach. „Taugenichtse, allesamt. Mattingwood konnte neulich seine Spielschulden nicht bezahlen. Welch Armutszeugnis, wenn ein Mann seine Verpflichtungen nicht erfüllt.“
„Wie ich hörte, hat er bezahlt“, warf der überaus korrekte Lord Broxted ein. „Ich war selbst zugegen, als er Ainslowe sagte, dass er am nächsten Morgen zahlen wolle.“
„Ah“, meinte Mr. Price und zwinkerte Mr. Woollatt zu, „das haben wir bereits des Öfteren gehört, möchte ich meinen.“
„Zweifellos“, stimmte Lord Broxted zu. „Diesmal hielt er allerdings sein Wort. Er beglich seine Schulden bei Ainslowe mit einem Gemälde.“
„Einem Gemälde!“
„Ja“, antwortete Lord Broxted. „Einem Tiepolo. Sein Vater hat ihn von seinen Reisen mitgebracht.“
„Und ist er auch echt?“, fragte Mr. Price. „Hat Ainslowe das Bild schätzen lassen?“
Lord Broxted musterte ihn pikiert. „Dazu besteht kein Anlass. Er hat Mattingwoods Wort, das Wort eines Gentleman.“
„Lasst uns nicht länger darüber plaudern“, meinte Lady Broxted und stand auf. „Madame Saqui tritt bald auf, ich möchte einen guten Blick haben.“
Sie schlossen sich der Menge an, die sich um die fünfzehn Meter hohen Masten versammelt hatte, die für Madame Saquis Seiltanzvorführung aufgestellt worden waren. Mr. und Mrs. Price fanden einen Platz für ihre Gesellschaft, von dem aus sie einen guten Blick auf die Akrobatin haben würden. Carlotta war nicht sicher, ob es Zufall oder Absicht war, dass sie sich erneut in der Nähe der jungen Männer befanden. Mit Geschick gelang es Mrs. Price, sich neben Sir Gilbert zu stellen und ihn in ein reichlich kokettes Gespräch zu verwickeln, während sie auf Madame Saquis Auftritt warteten. Carlotta hörte geduldig Mr. Woollatt zu, der ihr minutiös berichtete, wann, wo und wie oft die Akrobatin in England bereits aufgetreten war. Plötzlich vernahm sie eine vertraute Stimme.
„Ihre Begleitung ist ein wandelndes Lexikon, Miss Rivington.“
Sie erstarrte. Luke stand hinter ihr, in der dichten Menschenmenge berührten sie sich fast. Ihr ganzer Körper prickelte, und sie rückte unwillkürlich näher an Mr. Woollatt heran. Der tätschelte beruhigend ihren Arm.
„Das Getümmel ist ein wenig einschüchternd, nicht wahr?“, meinte er wohlwollend. „Sie müssen sich jedoch nicht fürchten, Miss Rivington. Ich werde auf Sie achtgeben.“
„Das Glück steht Woollatt in jeder Hinsicht zur Seite.“ Die Worte waren kaum mehr als ein Hauch. Sie spürte, wie Lukes Atem ihre Wangen wärmte. Fest biss sie sich auf die Lippe; sie würde auf seine Neckereien nicht eingehen. In diesem Augenblick erscholl Beifall, und Carlotta versuchte sich auf die stämmige kleine Frau zu konzentrieren, die da zum Seil hinaufkletterte. Lukes Gegenwart ließ dies indes nicht zu. Er stand so nah hinter ihr, sie brauchte sich nur ein wenig nach hinten zu lehnen, schon würde sie seine Brust berühren. Die Versuchung, dies zu tun, war so stark, dass sie ihr Angst einflößte. Sie wagte es nicht, ihn anzusehen, während sie insgeheim darauf hoffte, seine Hand auf ihrem Rücken zu spüren. Sie malte sich aus, wie sich seine Hände um ihre Hüften legten und er sie an sich zog. Sie sehnte sich danach, seine Lippen auf ihrer Wange zu spüren, dort, wo sie zuvor seinen warmen Atem gefühlt hatte. Als ihr bewusst wurde, wie sehr sie wünschte, genau dies würde geschehen, ärgerte sie sich so sehr über sich selbst, dass sie vor Verdrossenheit am liebsten aufgeschrien hätte.
Mr. Woollatt lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das Seil und erklärte ihr, dass es straff gespannt sein musste und dass Madame Saqui besondere Schuhe trug, um auf dem Seil Halt zu
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