Der Bastard und die Lady
Doch sie war nicht auf ihn losgegangen, hatte ihm keinerlei Schuld zugeschoben. Was sein Gewissen umso stärker belastete, zumal sein Magen, der während seiner Dienstzeit unter Wellington bedeutend Schlimmeres hatte verkraften müssen, die Mahlzeit ganz gut vertragen hatte.
Und dann spülte sie sich mit einem Schluck Wein aus der Flasche, die er ihr reichte, den Mund aus, spie den exzellenten Tropfen aus, als wäre es Wasser, tupfte sich die Lippen zart mit einem Tüchlein ab, bat ihn, ihr wieder in den Damensattel zu helfen, und erwähnte den Vorfall nie wieder.
Dazu gehörte Mumm. Ein Mann musste solchen Mumm bewundern, wenn schon nicht ihre Missachtung des guten Weins.
Er bewunderte vieles an Lady Chelsea Mills-Beckman. Und in stillen Momenten arbeitete er manchmal an ausgefeilten Ideen, wie er ihr diese Bewunderung zeigen würde. Mit dem Mund, mit den Händen, mit dem …
Bisher hatte sie sich nie beklagt. Hatte nie darum gebeten, früher Rast zu machen, nie darauf beharrt, zu wissen, wie weit es bis zum nächsten Rastplatz war. Er hatte an diesem Tag beim Mittagessen die Blase an ihrem Handballen gesehen und wusste, dass sie vom stundenlangen Zügelhalten herrührte. Doch als er sie danach fragte, behauptete sie, die Blase überhaupt nicht bemerkt zu haben.
Sie war eine ausgesprochen schlechte Lügnerin. Auch das hatte er erfahren.
Sie freute sich an der Landschaft, an jedem neuen Panorama, das sich ihnen bot, beschienen von der sanften englischen Sonne, grün, wie nur England sein konnte. Er verdankte es Chelsea, dass er sein Land mit neuen Augen sah. Allerdings würde er wohl nie begreifen, warum so viel Aufhebens um die Schafe gemacht wurde. Chelsea war hingerissen vom Anblick einer Wiese voll dieser Tiere und hatte anhalten wollen, um zu verfolgen, wie ein barfüßiger Junge und ein kleiner schwarzweißer Hund sie zu ihrem Stall trieben.
Drei Tage, und dies war ihre dritte Nacht. Zusammen. Ihr Lächeln. Diese blitzenden Augen, die jeden Gedanken, jede Stimmung verrieten. Wenn sie manchmal vorausritt, mit geradem Rücken, die runde Kehrseite deutlich abgezeichnet unter dem straff gespannten Material ihres Reitkleids.
Ein Mensch konnte nicht viel verbergen, wenn er nahezu zehn Stunden täglich zu Pferde unterwegs war, fernab von Menschen, einer auf den anderen angewiesen, ohne Anstandsdame oder sonst jemanden, der Spannungen auflöste, scharfe Kanten in Gesprächen glättete.
Das hieß, sie musste wissen, dass er sie begehrte.
Was ihn, das wusste Beau ebenfalls, in anderer Hinsicht zum Bastard machte, als er sich bisher gesehen hatte.
Als er jetzt sein Hemd aufknöpfte, beobachtete er Chelsea, die vorm Kamin saß, ihm den Rücken zukehrte und ihr Haar bürstete. Selbst in feuchtem Zustand schien es sich um ihr Handgelenk ringeln zu wollen wie etwas Lebendiges, herrlich und bezaubernd. Es fiel tief über den Rücken. Wild und frei. Haar, in dem ein Mann sich verlieren konnte.
Wusste sie, dass sie ihn an den Rand des Wahnsinns trieb? Hätte er zum Wetten geneigt, was er manchmal tat, dann hätte er auf „Ja“ gesetzt. Wusste sie, was sie riskierte? In der Hinsicht war er nicht so sicher.
Beau entdeckte den Stiefelknecht und benutzte ihn, dann setzte er sich auf den einzigen groben Holzstuhl und zog seine Strümpfe aus. Er bemerkte ein paar kleine Kletten an einem, denn sie hatten hastig die Straße verlassen müssen, als sie eine Kutsche hinter einer Kurve hatten herankommen hören. Er hatte eine schlechte Wahl getroffen und war in einem Dornendickicht gelandet. Wenn ihm so etwas noch öfter widerfuhr, würde er mit zerrissenen Strümpfen in Schottland ankommen.
Und mit einem schmutzigen Hemd. Kopfschüttelnd betrachtete er sein letztes sauberes Hemd, das jetzt nass und zerknittert auf dem Boden lag. Chelsea hatte ihr Reitkleid zum Trocknen übers Kamingitter gehängt, sein Hemd jedoch liegen gelassen. Das fiel von Chelseas Seite vermutlich unter die Rubrik Da hast du’s . Wenn du in diesem Zimmer badest, wenn du in diesem Zimmer schläfst, erwarte bloß keine Hilfe von mir.
Er konnte es ihr nicht verübeln. Er hätte ein anderes Zimmer beziehen können, doch es befand sich nicht auf derselben Etage, und er wusste, dass er in dieser Art Gasthaus nicht ruhig schlafen würde, wenn ein ganzes Stockwerk sie trennte.
Hätte es nicht geregnet, würden sie sich jetzt bereits der Stadtgrenze von Gateshead nähern, wo er einen ganzen Tag Rast eingeplant hatte, bevor sie zur Grenze vorstießen.
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