Der Bastard von Tolosa / Roman
Geister der Toten, die uns umgaben. Und das Schlimmste, meine Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Der lange Weg war umsonst gewesen.
Severin starrte abergläubisch auf die Stelle, wo wir die Leichen hingelegt hatten, bevor wir sie ins Dorf gebracht hatten. Trotz des Regens der letzten Tage waren unter dem Laubdach der Platane noch die Abdrücke auf dem Boden zu erkennen. Ich bekreuzigte mich hastig und wandte mich ab, um ins Haus zu gehen, als es mich durchzuckte. Natürlich. Nouras Grab! Eilig stieg ich wieder in den Sattel und wandte den Hengst zum Tor.
»Kommt, sie muss im Dorf sein.«
Hamid verstand sofort, und nach ihm folgten auch die anderen. Wir galoppierten den Hügel hinunter, durch das Tal und erklommen die Anhöhe, von der man das Dorf sehen konnte. Kaum auf dem Kamm angelangt, bot sich ein niederschmetternder Anblick, der uns das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Aus der Entfernung sah das Dorf wie ein Maul voller schwarzer, verfaulter Zähne aus. Von der hübschen Kirche standen nur noch Ruinen. Viele Häuser waren niedergebrannt, bei anderen stachen verkohlte Dachbalken in den blauen Frühlingshimmel. Tor und Teile der Wehrmauer waren eingerissen. Dünne Rauchfahnen stiegen aus den Trümmern auf. Es konnte nicht lange her sein, dass das Feuer gewütet hatte. Das Dorf war Opfer eines Überfalls geworden, und mir schwante das Schlimmste.
Wir jagten über die Felder, dass Erdklumpen von den Hufen flogen. Inbrünstig betete ich zur Jungfrau Maria, dass mein Kind nicht tot zwischen den Trümmern liegen möge, und fragte mich, ob wir überhaupt noch Lebende finden würden.
Doch als wir uns näherten, winkten Gestalten am Dorfeingang. Man hatte mich an meiner Schildzeichnung erkannt und begrüßte uns mit Geschrei und freudigen Rufen. Wir trabten durchs Tor und durch die Gassen zum Dorfplatz. Kinder liefen aufgeregt neben den Pferden her, hielten sich an den Steigbügeln fest und riefen unverständliches Zeug.
Die Zerstörung hatte aus der Entfernung schlimmer ausgesehen als an Ort und Stelle. Trotzdem würden viele Dächer ersetzt und manche Hütten von Grund auf neu errichtet werden müssen. Wie immer nach Plünderungen lag Hausrat verstreut in den Gassen, zerschlagene Töpferwaren, Kleider- und Stoffreste und zerrissene Bettpolster, aus denen das Stroh trat. Hier hatte es keine Reichtümer gegeben. Dennoch war kein Haus von den Plünderern verschont geblieben.
Weinende Frauen stützten sich auf Verwandte. Jammervolle Blicke begegneten uns. Ich rief laut nach
Paire
Georgios. Man öffnete bereitwillig eine Gasse, und der Priester in ihrer Mitte erhob die Hand zum Gruß. Sie hatten ihre Toten in Leinentücher gehüllt und in einer Reihe auf den Boden gelegt. Mehr als ein Dutzend waren es, darunter auch Kinderleichen. Der Anblick ließ mein Herz gefrieren!
Aber da, neben dem Pater, ich konnte es kaum glauben, da stand sie, Adela, meine Tochter. Gesund und unverletzt.
Sie starrte aus dunklen Augen unsicher zu mir herüber. Wenn ich gehofft hatte, sie würde in meine Arme fliegen, so wurde ich enttäuscht. Sie hielt sich steif, die Arme um den Oberkörper verschränkt, der Mund zugekniffen. Eine tiefe Röte stieg ihr vom Hals ins Gesicht hoch. Ich verstand sofort. Sie fürchtete sich vor mir. Sie fürchtete, ich würde sie für ihre verrückte Flucht bestrafen. Und recht hatte sie, denn für ihren gefährlichen Ungehorsam hatte sie wirklich eine Strafe verdient.
Doch bei ihrem Anblick war ich so schnell vom Pferd runter, dass ich stolperte und schmerzhaft auf den Knien landete und mir die Hand aufschürfte. Ungeachtet dessen riss ich die Arme hoch und schrie: »Adela! Komm her,
filheta!
Komm zu mir!«
Ihr Gesicht verwandelte sich im Nu. Noch hochrot begann sie, vor Freude und Erleichterung zu strahlen. Dann rannte sie mit einem Aufschrei los, durch das Spalier der Bauern und warf sich mir an die Brust. Meine Arme schlossen sich um sie, dass ich sie mit meinem Kettenpanzer fast erdrückte. Sie schien es nicht zu merken, denn immer wieder rief sie: »Vater, Vater! Sei mir nicht böse, bitte!« Sie drückte ihr Gesicht an meine Wange, und Tränen der Erleichterung liefen uns beiden herunter.
»Heilige Maria, du seiest gelobt!«, rief ich. Und dann nahm ich ihr Gesicht in die Hände und küsste sie abgöttisch. »Ich war außer mir vor Sorge,
mon cor.
Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe. Warum hast du das getan?«
Sie war schmutzig, wo sie sich mit rußgeschwärzter Hand übers Gesicht gefahren
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