Der Bastard von Tolosa / Roman
unsere Zeit hier«, sagte Hamid ruhig, aber mit einem harten Unterton der Ungeduld. »Ich kann mir schon denken, wo sie ist.«
»Wo soll sie denn sein? Nun sag schon!«
»Versuch mal, wie Adela zu denken«, sagte Hamid kalt. »Ihre Mutter ist tot, und ihr Vater betrinkt sich täglich, anstatt sich um sie zu kümmern. Geht allen aus dem Weg, besonders seiner Tochter. Und wo finden wir ihn, wenn er gebraucht wird? Besoffen in den Armen einer Hure.«
Mir schoss das Blut ins Gesicht, und ich packte ihn an der Gurgel, die andere Faust zum Schlag erhoben. Bei jedem anderen hätte ich nicht gezögert. Doch dies war mein Freund. Er wehrte sich nicht, sondern wartete mit trotzigem Blick, dass ich zuschlug. Aber ich konnte es nicht und ließ die Faust sinken.
»Verdammt, Hamid«, flüsterte ich und blickte um mich. Die anderen vermieden verlegen meine Augen und starrten zu Boden. Dachten sie wie er? »Warum habt ihr mir nichts gesagt?«
Arnaud blickte mir direkt in die Augen. »Ich liebe dich wie einen Bruder, Jaufré, aber man konnte mit dir nicht mehr reden. Jeder versteht natürlich, dass du Zeit brauchtest, mit Nouras Tod zurechtzukommen …«
»Ich dachte doch nur, bei euch sei sie besser aufgehoben als bei mir.«
Aber meine Worte waren nur eine lahme Entschuldigung. In meinem Kummer hatte ich alle von mir gestoßen, sogar mein eigenes Kind. Ich sah sie plötzlich als Zweijährige vor mir, ihre Ärmchen um meinen Hals, in allem so vertrauensvoll. Und dann beim letzten Mal ihr enttäuschter, trotziger Blick. Außer mir vor Sorge und Scham stieß ich mir vor den Kopf und brüllte aus vollen Lungen: »Was bin ich nur für ein verblendeter Ochse!«
Mein Schrei hallte durch die Gassen vor dem Palast, so dass die Wachen neugierige Augen machten. Wenn es ein Fluch war, der auf mir lastete, so musste ich ihn entkräften. Ich musste das Wohlwollen der Mutter Gottes wiedererlangen.
»Noura, verzeih mir«, flüsterte ich. Dann zog ich mein Schwert aus der Scheide, fiel auf die Knie, hielt die Waffe wie ein Kreuz vor mir hoch und küsste den Knauf.
»O Heilige Jungfrau Maria«, betete ich mit lauter Stimme, die Augen zum Himmel erhoben, »
Sancta dei genetrix,
verschmähe nicht mein Gebet in der Not. Errette meine Tochter von allen Gefahren,
virgo gloriosa et benedicta!
Amen.« Auch meine Gefährten bekreuzigten sich, nur Hamid saß regungslos auf seinem Hengst.
»Hört, was ich gelobe!«, rief ich. »Bei Gott dem Allmächtigen, bei der Jungfrau Maria und bei allem, was mir heilig ist, schwöre ich, dass ich eine Kapelle im Namen der Mutter Gottes errichten werde, wenn sie mir mein Kind gesund und heil wiedergibt.« Dann bekreuzigte ich mich und stand auf. »Gelobt sei Jesus Christus. Amen.«
»Gelobt sei Jesus Christus«, wiederholte Severin und schaute etwas unsicher um sich. Ich holte tief Luft und fühlte mich besser.
Mein Blick fiel auf Hamid. »Wenn du weißt, wo sie ist, dann sag es!«
Sein Gesichtsausdruck war kalt. »Hast du nicht bemerkt, wie sehr sie das Leben auf der Festung hasst? Sie ist auf deinem Landgut. Da bin ich sicher.«
»Da ist doch niemand.«
»Da sind immer Leute. Und Adela kennt die Bauern.«
»Es gibt eine alte Amme im Dorf.« Ich war noch unschlüssig und biss mir auf die Lippen. »Wenn du dich irrst, dann werden wir kostbare Zeit verlieren. Es ist ein langer Ritt.«
»Ich irre mich nicht!«
Wir standen noch einen Augenblick unschlüssig da. Aber niemand schien einen besseren Einfall zu haben.
»Also los. Gott gebe, dass du recht hast.«
Wir verließen die letzten Hütten der Vorstadt und folgten in leichtem Galopp dem Weg, der in die Hügel und zu meinem Landsitz führte.
Nicht zu schnell, um die Pferde zu schonen, denn es waren gut vier bis fünf Wegstunden zurückzulegen. Die Sonne war inzwischen hinter den Bergen des Libanon aufgetaucht, und das klare Morgenlicht ließ die Einzelheiten der fruchtbaren Landschaft glitzernd scharf hervortreten. Nach dem gestrigen Frühlingssturm versprach es ein herrlicher Tag zu werden.
Aber darauf achtete ich wenig, sondern saß unruhig grübelnd im Sattel. Die Gefährten zogen es vor, meine Gedanken nicht zu stören, außer Guilhem, der mir Mut zusprechen wollte. Doch als ich seine aufmunternden Worte nur mit einsilbigem Knurren beantwortete, verfiel auch er in Schweigen. Ich klammerte mich an den Gedanken, dass Adela nichts geschehen konnte, denn war sie uns nicht als Zeichen Gottes am Tag seines Triumphes geboren worden?
Es war in den
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