Der Bastard von Tolosa / Roman
untröstlich über den Zustand seines Gotteshauses. Zu allem Unglück war auch die alte Glocke herabgestürzt. Sie hatte einen Riss davongetragen und war möglicherweise unbrauchbar geworden. Wo sollte er nur eine neue Glocke hernehmen, jammerte er in seinem schlechten Latein.
Nouras Grab in einer stillen Ecke zwischen Zypressen war wie durch ein Wunder unberührt geblieben. Jemand hatte das Grab sorgsam angelegt und einen einfachen Grabstein mit einer schlichten Inschrift errichtet. Unweit setzten wir uns auf die Trümmer der eingestürzten Mauer.
Adela starrte auf den Stein. »Was steht darauf geschrieben?«
»Was man so auf einen Grabstein setzt.«
Die Frage machte mich verlegen. Vielleicht würde es ihr nicht gefallen, denn ich hatte
Paire
Georgios eine schlichte Inschrift aufgetragen. Wie kann man Gefühle in kalten Stein meißeln? Die Buchstaben waren nicht so makellos geformt, wie man es sich wünschen würde. Doch konnte man mehr in einem kleinen Dorf erwarten? Ich winkte den Priester näher, dankte ihm für seine Mühe und lobte den Stein und das Grab. Ich bat ihn, vorzulesen.
NOURA
AMATA•MATER•UXORQUE
ANNO•DOMINI•MCX
CUM•MAGNO•SUORUM•LUCTU•VITA•CESSIT
CUIUS•ANIMA•REQUIESCAT•IN•PACE
EXEGIT•HOC•MONUMENTUM
GOFFREDUS•MONTALBANUS
CUM•ADELA•FILIA
Für Adela sprach ich es auf Provenzalisch nach. »Zur großen Trauer der Ihren starb Noura, geliebte Mutter und Gemahlin, im Jahre des Herrn 1110. Möge ihre Seele in Frieden ruhen.«
»Und darunter?«
»Errichtet von Goffredus Montalbanus und Tochter Adela.«
»Steht da wirklich mein Name?« Sie betrachtete die Schriftzeichen mit feuchten Augen. »Ob sie uns jetzt sieht?«
Ich zuckte mit den Achseln. Wer konnte das sagen? Wir saßen lange stumm, während jeder seinen Gedanken nachhing. Ich hielt Adelas Hand und betrachtete den kleinen Erdhügel. Immer noch unfassbar, dass sie darunter lag. Wie sehr ich sie vermisste, wenn auch der Schmerz nicht mehr so stechend war.
»Ich möchte bei dir wohnen, Vater.«
Ich bat
Paire
Georgios, uns allein zu lassen, und legte ihr meinen Arm um die Schultern. »Natürlich wirst du das. Die
Comtessa
Elena wird uns jemanden schicken, der sich um deine Kleider kümmert. Sie hat dich eingeladen, ihre Tochter Anhes zu besuchen.«
»Mal sehen.« Sie schien wenig begeistert. Dann bettelte sie. »Ich kann gut reiten, und du kannst mich überallhin mitnehmen. Bitte.«
»Sicher. Sooft ich kann. Das verspreche ich.«
»Müssen wir auf der Festung bleiben?«
»Der Graf ist mein Lehnsherr, und er braucht mich dort.«
»Ich hasse Mons Pelegrinus«, sagte sie düster. Nicht zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich die verdammte Festung eigentlich auch nicht leiden konnte. Ich hielt sie fest, und sie schmiegte sich an meine Seite.
»Hier zwischen Feldern und Wiesen war Mama glücklich gewesen«, sagte sie weinerlich und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ihr Kräutergarten wird jetzt verwildern.« Sie zog die Mundwinkel herunter. »Wenn Mama dich nach Tagen auf dem Heimweg wusste, war sie immer schrecklich aufgeregt. Dann hat sie die Mägde gescheucht, und die Köchin musste alles besonders gut anrichten, und ich durfte mich nicht schmutzig machen.«
»Noura? Sie war doch immer so ruhig und gefasst.«
Adela blickte zu mir auf. »Ha! Du kennst Mama nicht!« Dann wurde sie rot und schaute zu Boden. »Ich meine, du weißt nicht, wie sie manchmal war. Du warst ja oft lange weg.«
Das stimmte und auch, dass ich nicht immer der beste aller Ehemänner gewesen war.
Und wann hatte ich überhaupt ein längeres Gespräch mit meiner Tochter geführt? Bedurfte es erst des Todes ihrer Mutter, um Adela wirklich wahrzunehmen? Ich verstand Hamids frühere Andeutung. Dann musste ich lächeln. Mein Kind war der Ansicht, ich hätte meine Frau nicht recht gekannt. Aber wer weiß. Kennt man denn jemals einen Menschen wirklich?
»Und wieso kanntest du sie besser?«
Sie setzte eine wichtige Miene auf. »Zum Beispiel, ich wette, du weißt nicht, dass sie sich gewünscht hatte, wir alle würden zusammen im Reich der Franken leben, dort wo du herkommst.«
»Woher willst du das wissen?«
»Sie hat es mir gesagt. Aber ich musste versprechen, dass es ein Geheimnis bleibt.«
Meine Neugierde war geweckt. »Was genau hat sie dir gesagt?«
»Dass sie gern ein besseres Leben für uns gehabt hätte. Und dass du bei den Franken viel Land und ein Herrenhaus hast und dass sie traurig sei, weil du
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