Der Bastard von Tolosa / Roman
verquollenen Augen. »Wir haben gottlose Dinge getan, was, Jaufré?«
Ich nickte.
»Wird Gott uns verzeihen?« Er fragte dies ängstlich, und meine Antwort schien ihm wichtiger als das
te absolvo
der Ordensbrüder.
»Das wird er, Raimon. Du warst einer seiner besten Kämpfer.«
»Wir alle hier.«
»Jawohl, Raimon. Wir alle.«
»Ich liebe eure hässlichen Affengesichter«, flüsterte er.
Nach einer Weile drückte er abermals meine Hand. Die Augenlider zuckten. Ich musste mich über ihn beugen, um ihn zu verstehen. Ich sah, dass seine Lippen begonnen hatten, sich blau zu färben.
»Geht endlich heim, Jungs«, kam es mit heiserem Pfeifen von ihm. »Wir haben genug getan.«
Und dann, ich konnte es nicht fassen, dass er immer noch reden wollte, starrte er mich noch einmal an und stieß mühsam jedes Wort einzeln hervor. »Grüß Odo von mir.«
Ich traute meinen Ohren nicht. Was, zum Teufel, hatte er mit Odo zu tun? Doch es blieb keine Zeit, ihn zu fragen, denn seine Brust hob und senkte sich mächtig in gurgelnden Krämpfen, während ihm blutiger Schaum vor den Mund trat. Sein Todeskampf war schrecklich anzusehen. Seine Faust umklammerte die meine, als wolle er mir die Knochen brechen, es gelang ihm, ein letztes »Betet für mich!« herauszupressen, dann traten ihm die Augen aus dem Kopf, und er begann, wie im Krampf zu zittern. Sein schnappender Mund öffnete sich, als sei er ein Fisch an Gottes Haken.
Ein letztes Mal bäumte er sich auf, dann wurden die zuckenden Bewegungen langsam ruhiger, bis er sich nicht mehr rührte. Nur die weit aufgerissenen Augen starrten uns an. Arnaud schloss sie mit einer sanften Handbewegung und schob ihm die offene Kinnlade zu.
Eine lange Weile saßen wir neben dem Leichnam, sagten kein Wort und wagten kaum, einen Blick zu tauschen. Bis Guilhem sich den Rotz von der Nase wischte und
»putan merda!«,
murmelte. Dann standen wir auf und verließen stumm das
hospitium.
Noch Tage danach zermarterte ich mein Hirn, um Pilets letzte Worte zu deuten. Warum nur sollte ich Odo grüßen? Er kannte ihn doch gar nicht. Und nun würde ich ihn nicht mehr fragen können.
***
Die Moslems beerdigen ihre Toten noch am gleichen Tag.
Wir Christen nehmen uns mehr Zeit. Doch hier im Orient, wo während der meisten Zeit des Jahres große Hitze herrscht, ist dies vernünftig. Deshalb, gleich am nächsten Morgen nach der Totenwache seiner Freunde, beerdigten auch wir unseren Kameraden auf dem Friedhof der griechischen Kirche in Tripolis.
Viele gaben ihm das letzte Geleit, denn Raimon Pilet war trotz seines rauhbeinigen Wesens bei allen beliebt gewesen. In vorderster Reihe stand Graf Bertran, begleitet von
Comtessa
Elena. Daneben in respektvollem Abstand Pilets engste Freunde und Weggefährten auf dem langen Marsch, der uns von Tolosa über die Alpen, durch Dalmatien, Makedonien, Konstantinopel, Nicaea und Antiochia bis nach Jerusalem und zuletzt Tripolis geführt hatte. Auch Hamid, obwohl Muslim, war dabei, und hätte man es ihm verwehrt, so hätten die Männer zornig nach ihm verlangt.
Paire
d’Aguiliers vollzog die feierliche Handlung. Das lange Priestergewand und seine Stola verliehen der fülligen Gestalt Bedeutung und Würde. Nach den überlieferten Beschwörungen und Gebeten in lateinischer Sprache hielt er eine kurze Grabrede.
»Heute tragen wir den tapferen
Cavalier
und Edelmann Raimon Pilet zu Grabe.« Er schaute in die Runde, und sein Blick schien jeden Einzelnen zu treffen. »Er war nicht immer ein Vorbild christlicher Frömmigkeit und Demut. Leider habe ich ihn auch nicht oft in meiner Kirche gesehen.«
Bei diesen Worten mussten viele grinsen, und in den hinteren Reihen lachte einer kurz auf, bis ihn sein Nachbar in die Rippen stieß. Raimons lockerer Lebenswandel war allen bekannt. Aber musste der Pfaffe so die Grabrede beginnen?
»Und doch«, sprach er weiter, »war Pilet ein wackerer Krieger für den Herrn und hat sein Leben der großen Sache gewidmet, der Befreiung des Heiligen Grabes. Keine Strapaze und keinen Kampf gegen die Ungläubigen hat er je gescheut. Bis zuletzt opferte er jeden Blutstropfen für das Kreuz und die Glorie Jesu. Und so ist er gestorben. Aufrecht, im Kampf gegen die Feinde der Christenbrüder. Dafür soll er auf ewig geehrt sein und an der Seite unseres Erlösers im Paradies wohnen.«
Der Pater hielt einen Moment inne. Das war schon besser. Alle, besonders die alten Kameraden, fühlten sich persönlich angesprochen. Beschrieben solche Worte nicht uns
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